12.06.2013

Zum Gerechtigkeitsbegriff bei John Rawls



John Rawls geht zuerst von dem traditionellen egalitären Liberalismus aus, d. h. von dem Gedanken, dass die Freiheit und Gleichheit von Individuen die Basis einer funktionierenden Gesellschaft sind, um seine Gerechtigkeitstheorie zu entwerfen. Er setzt bei der sozialen Gerechtigkeit an, damit die individuelle Freiheit kein leeres Konzept bleibt, wobei die Gleichheit zwischen Individuen eher im Sinne einer Chancengleichheit zu verstehen ist als einer mathematischen Gleichheit von sozialen Bedingungen. Ein wichtiger Punkt liegt darin, zu fragen welche Auswirkungen eine Verteilungsform auf das Wohl aller Einzelnen haben kann, denn die Gerechtigkeit darf nicht nur an gleicher Verteilung bemessen werden, nicht nur weil diese unrealistisch und utopisch ist, sondern auch weil deren Konsequenzen nicht unbedingt die besten sind weder für jeden Einzelnen noch für die ganze Gesellschaft.
Des Weiteren holt Rawls die neuzeitliche Vertragstheorie vor Auge zurück und stellt sich eine fiktive Situation vor, in der sich alle Individuen über einen gerechten Gesellschaftsvertrag einigen würden und zwar indem sie unter einem „Schleier der Unwissenheit“, d. h. ohne jedes Wissen darüber, welche Stellung in dieser zukünftigen Gesellschaft jeder einnehmen wird, die notwendige Ungleichheit so unparteilich gestalten, dass jede Position für seinen zukünftigen Besitzer annährend zufriedenstellend sein könnte.
Es ist hier darauf hinzuweisen, dass die Unterschiede zwischen den Einzelnen nicht nur unvermeidbar sind, sondern sogar nötig, damit die Gesellschaft überhaupt funktionieren kann. Rawls macht aus den unter dieser Ungleichheit Benachteiligten und deren Wohlergehen einen Maßstab für die Gerechtigkeit einer Ordnung schlechthin. Die Ungleichheit der sozialen Bedingungen spielt für Rawls‘ Theorie eine doppelte Rolle: einerseits gewährt sie als eine Art Triebkraft das Funktionieren der Gesellschaft und da sie auch zwangsläufig zur Benachteiligung von manchen Gruppen führt, will er anderseits die Gerechtigkeit dieser Gesellschaft rückkopplungsweise daran messen, wie es den Benachteiligten in dieser Gesellschaft geht. Wenn die Schlechtestgestellten anhand Korrekturen an der Gesellschaftsordnung immer wieder integriert, dann sorgt so ein Steuerkreis für eine faire Verteilung der Güter und Chancen. Das Allgemeinwohl (das auch das Wohl jedes Einzelnen impliziert) und die rechtliche Gleichbehandlung sind wichtige Legitimationsargumente für Rawls‘ Gerechtigkeitsbegriff.
Die Frage der Legitimation für Rawls stellt sich auch bei der Verteilung von Kompetenzen, also von Macht und Verantwortung in der Gesellschaft. Aus dem allgemeinen Nutzen werden hier auch Machtstellungen von kompetenten Personen (wie Ärzten, Führungskräften, usw.) und Gruppen (z. B. Gewerkschaften) legitimiert und deren Macht so gestaltet, dass die Interessen der „Untertanen“ genauso beachtet werden, dass sie damit zufrieden leben könnten.

Utilitaristischer Ansatz und andere Formen der eudämonistischen Ethik. Unterschiede



Bei den Grundformen normativer Ethik besitzt das eudämonistische Grundlegungsprinzip einen beachtlichen Platz. Eudämonismus ist das ethische Modell, das an Lust und Glück orientiert ist. Ein wichtiger Ethiker dieser Richtung ist Aristoteles. Sein Kerngedanke dreht sich um die Frage, wie kann ein Mensch die dauerhafte Glückseligkeit (gr. eudaimonia) erlangen, d. h. was sollen die Leitmotive seines Handelns sein, die ihm ein gutes, erfülltes und daher glückliches Leben gewährleisten. Für Aristoteles strebt der Mensch mit seinen Handlungen ständig danach, seine Wünsche und Bedürfnisse (Motive) zu befriedigen. Nach ihm soll der Mensch diese Befriedigung tugendhaft erreichen, d. h. vernünftig, klug, angemessen, weder übertrieben noch mangelhaft. Aber für den Philosoph des Werdens sind uns die Tugendhaftigkeit und Klugheit nicht angeboren, sondern werden durch Erfahrung und konsequentes sittliches Verhalten erworben und durch Habitus (Gewohnheit/Gewöhnung) angeeignet. Und da der Mensch nach Aristoteles ein zoon politikon, also ein soziales, in einer Gemeinschaft lebendes und zugleich gestaltendes Lebewesen ist, kann er seine Handlungsmotive nur in Anbetracht des Wohls des Staats und seiner Bürger verfolgen. Daher ist das aristotelische ethische Ideal, nämlich Selbstverwirklichung, individuell und sozial gleichermaßen. 
Beim Utilitarismus bleibt das Streben nach Glück genauso wie im Eudämonismus das wesentliche Motiv des Handelns. Daher ist der Utilitarismus auch eine eudämonistische Ethik. Er geht von zwei Maximalvorstellungen aus und zwar das größtmögliche Glück für das Individuum, aber auch für die größtmögliche Anzahl der Menschen. Die Maximierung des Glücks sowie der Zahl der Menschen, die das Glück erleben führt zu einem Mittelwert bei beiden Maximalvorstellungen. Jede eudämonistische Ethiktheorie, Utilitarismus inbegriffen, muss natürlich klären, wie ist das Glück zu definieren und danach fragen, ob alle Menschen die gleiche Vorstellung vom Glück und einem gutem Leben haben. Hierzu gibt es verschiedene Gedanken. Aristoteles z. B. hält die Vernünftigkeit auch als Bedürfnis bei den Menschen, die genauso befriedigt werden muss wie die biologischen Bedürfnisse und denkt infolgedessen, dass das philosophische Leben (der bios theoretikos) am glücklichsten sein solle, weil er seine Freiheit und Vernunftfähigkeit am meisten beansprucht. Für ihn ist diese Vernunftbegabung und deren Einsatz im Leben das ergon (dt. Werk, Bestimmung, …) des Menschen schlechthin. Daher ist für Aristoteles Glückseligkeit nicht zu trennen von Tätigkeiten, aber eben Tätigkeiten, die auch Lust bereiten, wobei er wiederum zwischen guten und schlechten Lüsten unterscheidet, je nachdem, ob der Weg und die Mittel jeweils dafür gut oder schlecht sind.
Als Mitbegründer des Utilitarismus, sieht Bentham nur zwei anthropologische Grundmotivationen hinter allem Tun und Lassen bei den Menschen: „Die Natur hat die Menschheit unter die Herrschaft zweier souveräner Gebieter – Leid und Freude – gestellt. Es ist an ihnen allein aufzuzeigen, was wir tun sollen, wie auch zu bestimmen, was wir tun werden. Sowohl der Maßstab für Richtig und Falsch als auch die Kette der Ursachen und Wirkungen sind an ihrem Thron festgemacht. Sie beherrschen uns in allem, was wir tun, was wir sagen, was wir denken.“ (1)
Der Utilitarismus als pragmatischer Ethikansatz, der das Nützlichkeitsprinzip als Maßstab moralischer Handlungsbewertungen verfolgt, will das höchstmögliche Glück für die höchstmögliche Zahl der Menschen anstreben. Und das bedeutet, dass eine Menge von Menschen (zumindest eine Minderheit) dieses Glück nicht erreichen kann. Eine weitere Schwierigkeit liegt nach wie vor in der Definition vom Glück und in dem, was jeder Einzelne davon versteht; eine Schwierigkeit, die ihrerseits nicht mit dem utilitaristischen Ansatz zu lösen ist. Es ist offensichtlich, dass die Vorstellung vom Glücklichsein wie der Ethik allgemein kulturabhängig ist und variiert von Gesellschaft zu Gesellschaft und sogar von Sozialschicht zur anderen sehr stark. Denken wir nur an die Pyramide von Maslow und wie sich die Bedürfnisse von einem einzelnen Menschen je nach Sozialsituation wandeln. Auch wenn diese Pyramide umstritten ist, spiegelt sie im Großen und Ganzen eine offensichtliche Tendenz, zumindest für die Mehrheit der Menschen. In der Basis der Pyramide steht der Grundbedarf an lebenswichtigen Dingen wie z. B. Ernährung, Wohnung. Wenn der Mensch diese Basis sicherstellt, fühlt er sich schnell unzufrieden und will die nächste Stufe der Pyramide „Sicherheit“ erreichen, usw.  (s. Maslows Pyramide). Selbst wenn nicht jeder dieses Modell treu und notwendig in seinem Leben durchfährt, es zeigt trotzdem eine grobe Vorstellung, was die Menschen je nach Sozialstellung motiviert, also „glücklich“ macht und warum ein utilitaristischer Ansatz nicht ohne eine diffizile Differenzierung zwischen Menschen und deren Bedürfnissen auskommen kann. J. S. Mill sagt z. B.:“Es ist besser, ein unzufriedener Mensch als ein zufriedengestelltes Schwein zu sein; besser ein unzufriedener Sokrates als ein zufriedener Narr.“ (2) Diese Aussage spiegelt auch die Umstrittenheit von Maslows Theorie. Aber so eine Aussage würde ein in Armut und Misere lebender Mensch nicht einfach zustimmen. Der Utilitarismus als teleologische Ethik beurteilt nicht die Eigenschaft einer Handlung, sondern ihre Folge (Gegenentwurf von Kants Ethik), also muss der Mensch die Auswirkungen seiner Tätigkeiten einem Wahrscheinlichkeitskalkül unterziehen.   
Eine weitere Schwierigkeit entsteht, wenn der utilitaristische Nützlichkeitsmaßstab auf einzelne Handlungen angewandt wird. Hiergegen entwickelt man neuere utilitaristische Ansätze, die eher aufgestellte Regeln für die Handlungen beurteilt als die Handlungen selbst. Der Grundsatz des Größtmöglichen Glücks für die Maximalzahl der Menschen bleibt nach wie vor bestehen. 


Literatur:

(1): Jeremy Bentham (http://de.wikipedia.org/wiki/Utilitarismus/)
(2): John Stuart Mill (http://de.wikipedia.org/wiki/Utilitarismus/)