Der Lustbegriff spielt eine
Zentralrolle bei der Grundlegung von einigen ethischen Theorien. Aristoteles
hält Lust und Unlust für die wichtigsten Handlungsmotive. Er denkt, dass der
Mensch grundsätzlich das vermeidet, was für ihn mit Unlust verbunden ist und
tut hingegen das, was ihm Lust bereitet. „Ferner
ist die Lust mit uns allen von Kindesbeinen an verwachsen, daher es schwer
hält, dieses durch das Leben in uns festgewurzelte Gefühl abzustreifen. Auch
machen wir, die einen mehr die anderen weniger, Lust und Unlust zur Richtschnur
unserer Handlungen. Diese beiden Gefühle sind darum notwendig die Angelpunkte
unserer ganzen Theorie.“ (1)
Ist Lust für Aristoteles ein absolutes
„Gut“ oder spricht etwas dagegen für ihn, wenn der Mensch derart handelt,
nämlich luststrebend und unlustvermeidend? Nun, es gibt in diesem Zusammenhang
noch einen Begriff, der für diesen Philosophen entscheidend ist und zwar
„arete“ (dt. Tugend). Der Mensch kann zwar lustmotivierend handeln, also
Tätigkeiten eingehen, die ihm Lust bringen, aber er soll zugleich und stets
tugendhaft bleiben, was für ihn nichts anderes heißt als ausgewogen,
angemessen, also ohne Übermaß oder Mangel, mit einem Wort: der rechten Mitte
gemäß zu handeln.
Das Gebot der rechten Mitte liegt für
Aristoteles in der Sache selbst begründet, denn jedes Übermaß am Genießen kehrt
notwendigerweise zu seinem Gegenteil um, nämlich zur Unlust und gleiches gilt
für jeden Mangel. „[…] so lässt sich das
Einzelne und Konkrete noch weniger genaue und absolut gültige Vorschriften zu,
da es unter keine Kunst und keine Lehrüberlieferung fällt. […] Zuerst kommt in
Betracht, dass Dinge dieser Art ihrer Natur nach durch Mangel und Übermaß
zugrunde gehen.“ (2) Das Übertreiben beim Sport beispielsweise führt ans
Ziel der Gesundheit vorbei und kann schädlich sein und genauso wird es auch mit
einem Mangel an Körperbetätigung. Der Grundbegriff „Lust“ als Handlungstrieb
wird bei Aristoteles nur mit Tugendhaftigkeit verbunden auch zum Ziel der
dauerhaften Glückseligkeit leiten, ansonsten wird eher die Unlust der finale Lohn
sein. „Desgleichen wird wer jede Lust
genießt und sich keiner enthält, zügellos, wer aber jede Lust flieht, wie die
sauertöpfischen Leute, verfällt in eine Art Stumpfsinn.“ (3)
Es stellt sich noch die Frage: Das
„Gute“ tun ist nicht immer lustbringend und manchmal ist das „Schlechte“ mit
Lust verbunden. Also was tun in solchen Situationen? Nach Aristoteles als
Philosoph des Werdens hilft hier die Erziehung von Kind an, denn die
Tugendhaftigkeit ist dem Menschen nicht angeboren. Allein der Habitus
(Gewohnheit/Gewöhnung) an tugendhaften Handlungen, sich daran üben und
angewöhnen, Lust bei dem Guten zu empfinden, wo manchmal Unlust lauern würde
und Unlust beim Schlechten zu spüren, wo möglicherweise Lust anlocken könnte. „Der Lust wegen tun wir ja das sittlich
Schlechte, und der Unlust wegen unterlassen wir das Gute. Darum muss man, wie
Plato sagt, von der ersten Kindheit an einigermaßen dazu angeleitet worden
sein, über dasjenige Lust und Unlust zu empfinden, worüber man soll. Denn das
ist die rechte Erziehung.“ (4)
Aus diesen Ausführungen geht eine
klare Feststellung hervor, dass der Lustbegriff eine Schlüsselrolle in der
aristotelischen Ethikkonzeption spielt. Selbst wenn er die Tugend zu einem
zentralen Regulationsfaktor bzw. Korrektiven für das menschliche Handeln
erhebt, bleiben "Lust" und "Unlust" letztendlich die
Hauptbeweggründe menschlichen Tuns und Unterlassens.
Kant geht mit dem Lustbegriff ganz
anders vor als Aristoteles. Als Philosoph der neuzeitlichen Aufklärung, will
Kant die Ethik auf ein solides Fundament bauen. Da die Vernunft in der Neuzeit besonders
hoch gepriesen ist, denkt Kant, dass seine Ethiktheorie nicht weniger sicher entworfen
sein muss als eine wissenschaftliche Theorie. Moralische Sätze, die etwas
voraussetzen, damit sie überhaupt zur Geltung kommen sind hypothetisch, also für
ihn bloße praktische Maxime, die noch lange keinen Rang eines praktischen Gesetzes
erreichen, wie es bei Naturgesetzen der Fall ist. Dass Lust und Unlust von
Mensch zu Mensch anders empfunden sein können ist Kant durchaus bewusst und
daher für ihn nicht in Frage kommen kann, eine ethische Theorie auf solche
willkürliche Handlungsmotive zu gründen. Sein Vorhaben ist ungeheuer, nämlich
ethische Gesetze zu begründen, die genauso gelten müssen wie die Naturgesetze. Was
der Philosoph hier ankündigt ist eine Riesenverheißung, ein großes Projekt mit
dem unverkennbaren spezifischen „Beigeschmack“ der Neuzeit. Newton hat der
Menschheit den Schlüssel in die Hand gedrückt, wie das ganze Universum
physikalisch funktioniert - denkt man damals zumindest - und Kant als sein Leser
will uns kein kleineres Versprechen geben als, unseres menschlichen Funktionierens
bzw. Handels logisch zu beleuchten. Hierzu denkt er über die Ursache, die unser
Handeln als Wirkung hat und somit sind wir - wie die Natur auch - dem Diktat
der Kausalität unterliegt. Heißt das nicht, dass wir determiniert sind, also
ohne Freiheit? Kants Antwort ist: Nein! Denn hier herrscht eine andere Art Kausalität
als bei der Natur, nämlich eine Kausalität aus Freiheit. Wenn die
Naturkausalität (etwa Objekte fallen notwendigerweise unter Schwerkraft) dem
Determinismus im Naturgeschehen entspringt, bei menschlichem Handeln ist hingegen
eine Kausalität am Werk, die von der menschlichen Freiheit ausgeht, denn nach
Kant ist eine Ethik ohne Freiheit nicht denkbar.
Da das Ziel Kants darin liegt, seine
Ethiktheorie auf eine solide Basis zu entwerfen, beginnt er im Lehrsatz I (5)
zu zeigen, warum es nicht geht, aus dem Lustbegriff ein praktisches Gesetz
abzuleiten.
„Alle
praktische Prinzipien, die ein Objekt (Materie) des Begehrungsvermögens, als
Bestimmungsgrund des Willens, voraussetzen, sind insgesamt empirisch und können
keine praktische Gesetze abgeben.“ (5)
In dieser Aussage schickt Kant voraus,
dass praktische Gesetze nicht aus etwas Empirischem abgeleitet werden können. Indem
er seinen Lehrsatz kommentiert, hält er die Lust - betrachtet als eine
Bedingung der Möglichkeit der Bestimmung der Willkür - für eine Voraussetzung,
wenn es darum geht, den Bestimmungsgrund des Willen, also des Handelns zu
ermitteln. „Es kann aber von keiner
Vorstellung irgend eines Gegenstandes, welche sie aus sei, a priori erkannt
werden, ob sie mit Lust oder Unlust verbunden, oder indifferent sein werde.
Also muß in solchem Falle der Bestimmungsgrund der Willkür jederzeit empirisch
sei, mithin auch das praktische materiale Prinzip, welches ihn als Bedingung
voraussetzte.“ (6)
Weiterhin ist die Lustbestimmung nicht
nur empirisch, sondern auch lediglich subjektiv und daher nicht für alle
Vernunftwesen gelten kann. „Da nun
(zweitens) ein Prinzip, dass sich nur auf die subjektive Bedingung der
Empfänglichkeit einer Lust oder Unlust […] gründet, zwar wohl für das Subjekt,
das sie besitzt, zu ihrer Maxime, aber auch für diese selbst (weil es ihm an
objektiver Notwendigkeit, die a priori erkannt werden muß, mangelt) nicht zum
Gesetze dienen kann, so kann ein solches Prinzip niemals ein praktisches Gesetz
abgeben.“ (7)
Darüber hinaus betrachtet Kant die
Lust aus einem anderen Blickpunkt, sie gründet sich auf der Empfänglichkeit des
Subjekts und „mithin gehört sie dem Sinne
(Gefühl) und nicht dem Versande an, der eine Beziehung der Vorstellung auf ein
Objekt, nach Begriffen, aber nicht auf das Subjekt, nach Gefühlen, ausdrückt.“
(8)
Da die Lust nur empirisch und
subjektiv zu ermitteln ist, mit Gefühlen verbunden und nicht mit dem Versand,
kann sie für eine Ethikbegründung nicht infrage kommen, weder um moralische
Normen (Kant spricht von praktischen Gesetzen) für den Einzelnen noch für die
Gesellschaft.
Die nächste Aufgabe beschäftigt sich
mit dem Ethikfundieren bei Kant.
Literatur:
(1): Aristoteles, Nikomachische
Ethik, GPTD I, S. 276
(2): Aristoteles, Nikomachische
Ethik, GPTD I, S. 273
(3): Aristoteles, Nikomachische
Ethik, GPTD I, S. 274
(4): Aristoteles, Nikomachische
Ethik, GPTD I, S. 275
(5): Kant, Kritik der reinen
Vernunft, GPTD VI, S. 067
(6): Kant, Kritik der reinen
Vernunft, GPTD VI, S. 068
(7): Kant, Kritik der reinen
Vernunft, GPTD VI, S. 068
(8): Kant, Kritik der reinen
Vernunft, GPTD VI, S. 068
GPTD = Geschichte der Philosophie in Text und Darstellung
Reclam/Stuttgart
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