Der Anthropozentrismus ist ein Begriff dafür,
dass der Mensch in zwei Hinsichten das Zentrum im Universum darstellt und zwar
epistemisch wie moralisch. In einer epistemischen Dimension kann der Mensch als
Erdbewohner sich geozentrisch ansehen, obwohl das moderne astronomische
Verständnis den Geozentrismus nur in einem relativen Sinne akzeptieren kann,
wonach jeder Punkt im Universum rein prinzipiell als Zentrum angenommen werden
darf. Bis Mittelalter war hingegen Geozentrismus „wörtlich“ verstanden und die
Erde wurde falscherweise für den „tatsächlichen“ Mittelpunkt des Kosmos
gehalten, worum sich alle anderen Planeten und Sternen (Sonne inbegriffen)
drehen. Die zweite wesentlichere anthropo-zentrische Dimension liegt in der
Ethik, wonach der Mensch als einziges Lebewesen, von dem sogleich moralische
Werte herstammen und dem moralische Werte zugesprochen werden können. Dieser
anthropozentrischen Ethikfundierung sind im Grunde genommen drei Ansätze
gegenübergestellt, die sich durch ein jeweiliges Kriterium unterscheiden, das wiederum
jeden Ansatz von den anderen abgrenzt.
Der Pathozentrismus geht von dem Kriterium
der Leidensfähigkeit mancher Lebewesen aus, um denen moralische Werte
anzuerkennen. Also diejenigen Tiere, die leiden können, sind von (unnötigem)
Leiden zu schonen, d.h. es gilt diese möglichst nach dem Moralwert
„Schmerzvermeidung“ zu behandeln, solange es nicht unbedingt notwendig ist. Was
unnötig oder notwendig ist, bleibt den Menschen wieder abzuwägen. Je nach
Bereich und dessen verschiedenen Themen wie etwa in Medizinforschung,
Lebensindustrie oder Kosmetik unterliegt die Notwendigkeits-abwägung jeweils
einer anderen Gewichtungsskala. Hierbei bleibt der Mensch wieder „Maßstab aller
Dinge“, denn ihm allein ist überlassen, die moralischen Grenzen zu ziehen.
Welche Tiere Schmerzen empfinden und inwieweit sollen sie vermieden werden,
teilweise oder gänzlich, abhängig oder unabhängig von menschlichen Interessen,
ob diese wiederum lebenswichtig oder sogar entbehrlich sind; das alles vermocht
nur der Mensch zu beurteilen, also pathozentrisch ist immer noch
anthropozentrisch.
Der Biozentrismus geht noch einen Schritt
weiter und hält als Kriterium der Naturethik das Lebendige als solches, denn
das Leben in sich verdient es, respektiert und geschont zu sein und von daher
gilt allen Lebewesen, Tieren wie Pflanzen moralische Werte zuzuordnen, also
denen Schutz vor Aussterben, Schmerz und Quälereien zu gewährleisten.
Der Physiozentrismus wählt das schärfste und
holistischste Naturethikkriterium überhaupt aus, nämlich das „Sein“ als solches
und spricht allen Seienden, d.h. Tieren, Pflanzen und Dingen moralische Normen
zu. Alles „was ist“ trägt in sich eigene Werte und soll Beachtung und Schonung
erfahren, ohne Rücksicht auf menschenbezogene Nutzen- und Interessenabwägungen.
Die Natur hat hiernach (epistemisch) objektive Werte auch ohne (bzw. vor)
menschliche Existenz und der Mensch, nach dem er in der Natur „hineingeboren“
ist (also im Nachhinein), hat diese Normen zu befolgen. Die Menschen sollen
nicht der primäre Zweck ethischer Reflexionen sein, sondern grundsätzlich alle
Naturobjekte (und zwangläufig die Menschen auchals Naturangehörige).
Wenn der Physiozentrismus das „Sein“ als
Kriterium für die ethische Rücksicht-nahme auf alles Seiende als solches
abgesehen von menschbedingtem Nutzenkalkül, dann ist für mich nach wie vor der
Mensch „am Werk“, denn einzig er beschäftigt sich mit dieser Frage und nur ihn
geht diese Frage an, da es keine Gegenseitigkeit gibt, wonach andere Wesen „unter
sich“ oder dem Menschen gegenüber etwas moralisches „anbieten“. Ein Prinzip der
„Naturökonomie“, nach dem alles Natürliche nur im „notwendigsten Maß“ sich
„bewegt“, entwickelt, vermehrt oder verschwindet kann dem „Mängelwesen“
Menschen nicht ausreichen, um alles nur nach diesem Prinzip „geschehen“ zu
lassen. Der Mensch ist von „Natur“ aus darauf angewiesen, sich Gedanken zu
machen, wie er überhaupt überleben kann. Seine „Vernunft“ ist wederein „Naturunfall“
noch ein „überflüssiges Instrument“, sondern ein notwendiges Werkzeug, das primärAbwehr-
und Überlebensstrategien, also verschiedene Techniken entwickeln muss, um sich
vor „Naturgewalt“ und „Naturgefahr“ zu schützen. „Wie die Hand zum Greifen, ist
der Verstand zum Begreifen da“, so etwa Schopenhauer, und „etwas begreifen“
heißt: sich dessen mächtig zu werden, es zu beherrschen. Daher kann der
Physiozentrismus auch nicht ohne weiteres begründbar sein, denn hierbei ist
erneut der „Homofaber“ Mensch am Spiel, weil er erstens ein „Mängelwesen“ ist
und nur durch seinen Verstand sich gegen die „nachte Gewalt der Natur“
behaupten kann, also die Seienden nicht als solche „respektieren“ bzw. „so
belassen wie sie naturgemäß sind“ kann, sondern sie durch Technikerfindung und
-entwicklung verändern (etwa Häuser bauen, Lebensmittel produzieren, usw.) und
in Naturvorgänge eingreifen (etwa Flüsse umleiten, wilde Tiere züchten, u.v.m.)
muss.
Zweitens stellt sich die Frage, inwieweit
soll der Homofaber gehen, wenn er sowieso nicht anders sein kann als
anthropozentrisch, also alles nur aus seinermenschlichen Sichtbeurteilen muss?
Diese Frage deutet auf die ganze Problematik des Menschseins hin, also v.a. auf
seine Probleme mit „sich selbst“ (als „einzelner Person“ und als „menschlicher
Gattung“ gleichermaßen) und mit seiner Umwelt. Wenn wir diese Frage mit Kant so
umformulieren: „Was ist der Mensch?“ und wenn wir seine drei andere berühmten
Fragen nur als Bestandteile dieser, dann haben wir damit das ganze
philosophische Programm des Abendlandes zusammengefasst. Der
Beantwortungsversuch dieser Frage ist dann der ganze philosophische Betrieb
seit der Antike bis heute. Aber nichtsdestotrotz will ich hierzu ein paar
Gedanken „wagen“.
Wenn man sich fragt, inwiefern soll der
Homofaber gehen mit seiner Technik, dann ist hier implizit gemeint, dass er
schon „zu weit“ geht, denn wenn er nur „soweit“ geht, wie für sein Überleben
(bzw. sein „sinnvolles, vernünftiges Leben“) notwendig ist, dann wäre
vielleicht diese Frage hier sogar sinnlos. Es ist bereits eine Tatsache, dass
der Mensch mit seinem technischen Vorgang„zu weit“ geht als sein (Über-)Leben
verlangt. Denken wir nur an die Nuklearen Waffen, die er anhäuft. Dass er die Naturressourcen
aller Art (lebendig wie unbelebt) „verschwindet“ und zum Teil direkt oder
indirekt (als Verursacher) „ausrottet“ ist längst ein Tagesgeschäft. In
Angesicht der rasenden Technisierungsbeschleunigung benötigt der Homofaber
dringend wie noch nie zuvor einer neuen Ökonomie im doppelten Sinne. Er braucht
eine Ökonomie im Sinne der o.g. „Naturökonomie“, d.h. die Bestimmung eines
Vorgangs mit Naturressourcen, der diese schont, wiederverwertet und womöglich
durch künstliche Artefakte ersetzt, die ihrerseits umweltschonender und
-freundlicher sind. Diese Vorgangsbestimmung soll nicht als moralisches
Plädoyer gegenüber der Industrie oder wem auch immer formuliert werden, sondern
eher als rechtliche Auflagen, die umgesetzt sein müssen. Da unsere Welt durch
Kapitalisten und Interessengruppen national wie international weit beherrscht
ist, werden solche Gesetzte wiederum schwer vorstellbar und noch schwerer
machbar und umsetzbarinsbesondere auf internationale Ebene. Daher ist eine
zweite Ökonomie erforderlich, nämlich eine libidinöse Ökonomie im Freud‘schen
Sinne. Die Interessengruppen nutzen menschlicher „libidinösen Energie“ (oder désir,-dt.
Verlangen- im Sinne Gilles Deleuze), um den Konsum zu beschleunigen, intensivierenund
globalisieren. Die Nachteile des neoliberalen Kapitalismus und der
Globalisierung zu kritisieren bleibt wirkungslos, solange keine Gegenmittel
entwickelt und eingeleitet werden. Das langsam Aufkommen eines neunen
Bewusstseins einer kollaborativen Wirtschaft im Vorbild von „Software open
source bzw. Shareware“ stellt eine gute Alternative dar. Diese Idee verbreitet
sich auch langsam in manchen Hardware Produkte, die von einigen „engagierten“
Firmen und Einzelnen als Software-Entwürfe angeboten und für Selbstbau
verfügbar freigegeben sind. Die kollaborative Wirtschaft, die Verbreitung der
Menschenrechte und das Entstehen neuen Bewusstseins dafür, dass der Mensch in
einem „Verhängnis“ der Neokapitalisten lebt und bei weiten durch eigene
libidinöse Energie „automatisiert“ (psychisch gelenkt), proletarisiert (im
Sinne Karl Marx), manipuliert und ausgebeutet wird, öffnen eine kleine Tür der
Hoffnung für eine Welt für alle, wo noch gelebt und geliebt wird statt eine
Welt voll Ware und v.a. „Automaten“, die zwar in menschlicher Gestalt
auftreten, aber sich längst so verhalten wie „ferngesteuert“ durch
vorinstallierte Programme von „Markt- und Politikgöttern“, die heutzutage eine
Art neue Religion darstellen. Und das ist nur eine Seite der Medaille, die Kehrseite
ist die Zerstörung der Umwelt bis hin zur Gefahr der Ausrottung allen Lebendigenu.a.
durch maßlose Kriege und Massenvernichtungs-waffen.
Das „Scheitern“ der Aufklärung (1) als neuzeitliches
hoffnungsvolles Projekt für wirtschaftliche Entwicklung und fortschreitende
Humanisierung „vom Schlechten zum Guten zum Besseren“ lehrt uns, jede „Utopie“
nur noch mit Vorsicht „anzunehmen“ und diese nicht schnell glauben zu wollen.
Im Frankreich z. B. heben sich heute Stimmen für eine „neue Aufklärung“ in der Zeit
der totalen Medien und Wissensgesellschaft. Andere meinen, dass wir eher eine
„Organologie“ (2), also Abwehrmittel gegen „negative Seiten“ der modernen
Gesellschaft brauchen, denn nur ein geschärftes Bewusstsein zuerst dafür, dass
jede „Technik“ früher wie heute stets einen Pharmakon (Gr. Gift, Droge und
Heilungsmittel zugleich) darstellt, dessen positive Seiten kritisch zu fördern
und dessen negative Nebeneffekte aufzuleuchten und zu bekämpfen sind. Wie sich
aber dieses neue kritische Bewusstsein (zumindest bei den meistens) entwickelt und
einstellt bleibt eine kontroverse Frage.
Literatur:
(1): z.B. W. Adorno, M. Horkheimer in: Dialektik der Aufklärung