28.09.2014

Naturphilosophischer Holismus



Das mechanistische Weltbild der Neuzeit, das durch die Metapher "Maschine" bzw. "Uhrwerk" als Erklärungsmodell natürlicher Vorgänge, hat sich in allen Wissen-schaftsbereichen verbreitet. Nicht nur die Physik wendet dieses deterministische Modell an, sondern auch etwa Medizin, Biologie und sogar Psychologie und Soziologie. Aber die Entwicklungen in den biologischen Forschungsthemen führen bald zur Entdeckung von Phänomenen, die nicht oder nur schwer lediglich durch die Mechanik zu erklären sind. Hierzu gehört die Forschungsarbeit von Hans Driesch am Seeigelei, wonach hervorgeht, dass die Entwicklung in einer Zelle "offen" ist, also über mehr Formbildungsmöglichkeiten verfügt als in der Tat realisiert wird, was dem mechanistischen Determinismus widerspricht. In Anlehnung an Aristoteles spricht er von einer dynamischen "Lebenskraft", die am Werk ist und hinter unvorhersehbarer Entfaltung in lebendigen Organismen steht und nicht eine berechenbare Mechanik. Diese neue Wissenschaftsrichtung wurde als Vitalismus bekannt, der die Besonderheit des Lebendigen im Vergleich zum Unlebendigen hervorhebt.
Die Einführung dieses neuen Naturprinzips "Lebenskraft" führt zu einem Dualismus im Naturverständnis, nämlich die Unterscheidung zwischen einer physikalischer Kausalität (Determinismus: Ursache => Wirkung) für unbelebte Materie und einer biologischen Kausalität ("Lebenskraft": Vielfältigkeit unvorhersehbarer Entfaltungs-möglichkeiten) für alles Lebendige.  
Es war John Scott Haldane, der diesen Dualismus als unhaltbar kritisierte, indem er zuerst anmerkte, dass die physikalischen Gesetze auch in den lebendigen Organismen gelten. Um die Vereinbarkeit der beiden Kausalitäten zu erreichen, geht er davon aus, dass die Biologie als umfassendere Wissenschaft gilt, wobei die Physik nur ein Spezialfall davon anzusehen ist. Somit hat Haldane einen holistischen Ansatz entdeckt, der die Einseitigkeit des Mechanismus und des Vitalismus überwindet hin zu einer ganzheitlichen Weltsicht der Natur. Der Mechanismus geht reduktionistisch vor, indem er die lebendigen Organismen in sein "Maschinenmodell" zu gießen versuchte. Der Vitalismus hingegen schlägt den umgekehrten Weg ein und bemühte sich das Physikalische aus dem Biologischen abzuleiten. Der Holismus (gr. "holon" = das Ganze) ist eine Weltperspektive, die sich gegen das mechanistische Wirklichkeitsverständnis und seinen ständigen Hang, alles in geringsten Bestandteile zerlegen zu wollen richtet und sodann die These vertritt, die Teile sind eher vom Ganzen her zu verstehen und nicht umgekehrt, also das Ganze von seinen Elementen. Der Holismus geht von einer organizistischen Natursicht aus, indem er den "Organismus" als Ganzheit für ein Modell der Wirklichkeitserklärung ansieht und daher die ganze Natur als ein selbstorganisiertes Lebewesen versteht. Es geht beim Holismus um ein neues Paradigma. Wenn der Mechanismus die "Maschine" als Vorbild betrachtet, um die Natur zu erklären, hält der Holismus stattdessen die Organismen als in sich geschlossene Ganzheiten für seine Leitmotive in Sachen Naturerklärung. 

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