28.09.2014

Schellings Gegensatz von "natura naturans" und "natura naturata"



Im Rahmen seiner holistischen Naturphilosophie benutzt Schelling die Begriffe „natura naturans“ und „natura naturata“, um eine Grenzlinie zwischen den Doppelaspekten seines Naturverständnisses zu ziehen, nämlich einerseits dem Naturaspekt, der die Natur in ihrer dynamischen und produktiven Seite fokussiert („natura naturans“) und anderseits dem Naturaspekt, der sich auf die Natur als statische Gestalten und erstarrte Produkte konzentriert („natura naturata“). Diese Trennlinie hilft nicht nur den Doppelcharakter der Natur als dynamische Schöpfungs-kraft und geschöpfte statische Produkte auseinander zu halten, sondern dient auch als Berührungslinie, denn diese zwei Aspekte stehen zueinander wie zwei Seiten einer Medaille, die letztendlich im Sinne Schelling voneinander nicht trennbar sind. Die Medaille steht (für mich)hier als Metapher für die Natur, die ebenso aus zwei untrennbaren Seiten besteht und zugleich eine geschlossene Einheit in sich ist. Die „Gegensätzlichkeit“ der Begriffe „natura naturans“ und „natura naturata“ stellt einen Wechsel zwischen zwei Blickwinkeln dar, aus denen die Natur betrachtet werden kann. Als „natura naturans“ ist die Natur ein Organismus, ein schöpferischer Prozess, der zu „natura naturata“, also erstarrten Gestalten bzw. Produkten führt, die übrigens Forschungsobjekte der Wissenschaft sein können. Zwecks einer ganzheitlichen Naturphilosophie betont Schelling den schöpferischen Charakter der Natur, um den menschlichen Geist (insofern als Naturforschungssubjekt) auch als einen ihrer Bestandteile anzusehen. Mehr noch, für Schelling ist das Organische bzw. Lebendige ursprünglicher als das scheinbar Erstarre bzw. Tote. Aus dem ersten soll das zweite geklärt werden und nicht umgekehrt. Zu bewundern nach ihm ist nur, wie das von Anbeginn an latente Leben hinter so vielen unbelebten Formen versteckt bleiben kann, bis es endlich in organischen und tierischen Form erscheint (1).    

Literatur:
(1): Gloy (1996), S. 82 /kein Zitat, nur sinngemäß

Naturphilosophischer Holismus



Das mechanistische Weltbild der Neuzeit, das durch die Metapher "Maschine" bzw. "Uhrwerk" als Erklärungsmodell natürlicher Vorgänge, hat sich in allen Wissen-schaftsbereichen verbreitet. Nicht nur die Physik wendet dieses deterministische Modell an, sondern auch etwa Medizin, Biologie und sogar Psychologie und Soziologie. Aber die Entwicklungen in den biologischen Forschungsthemen führen bald zur Entdeckung von Phänomenen, die nicht oder nur schwer lediglich durch die Mechanik zu erklären sind. Hierzu gehört die Forschungsarbeit von Hans Driesch am Seeigelei, wonach hervorgeht, dass die Entwicklung in einer Zelle "offen" ist, also über mehr Formbildungsmöglichkeiten verfügt als in der Tat realisiert wird, was dem mechanistischen Determinismus widerspricht. In Anlehnung an Aristoteles spricht er von einer dynamischen "Lebenskraft", die am Werk ist und hinter unvorhersehbarer Entfaltung in lebendigen Organismen steht und nicht eine berechenbare Mechanik. Diese neue Wissenschaftsrichtung wurde als Vitalismus bekannt, der die Besonderheit des Lebendigen im Vergleich zum Unlebendigen hervorhebt.
Die Einführung dieses neuen Naturprinzips "Lebenskraft" führt zu einem Dualismus im Naturverständnis, nämlich die Unterscheidung zwischen einer physikalischer Kausalität (Determinismus: Ursache => Wirkung) für unbelebte Materie und einer biologischen Kausalität ("Lebenskraft": Vielfältigkeit unvorhersehbarer Entfaltungs-möglichkeiten) für alles Lebendige.  
Es war John Scott Haldane, der diesen Dualismus als unhaltbar kritisierte, indem er zuerst anmerkte, dass die physikalischen Gesetze auch in den lebendigen Organismen gelten. Um die Vereinbarkeit der beiden Kausalitäten zu erreichen, geht er davon aus, dass die Biologie als umfassendere Wissenschaft gilt, wobei die Physik nur ein Spezialfall davon anzusehen ist. Somit hat Haldane einen holistischen Ansatz entdeckt, der die Einseitigkeit des Mechanismus und des Vitalismus überwindet hin zu einer ganzheitlichen Weltsicht der Natur. Der Mechanismus geht reduktionistisch vor, indem er die lebendigen Organismen in sein "Maschinenmodell" zu gießen versuchte. Der Vitalismus hingegen schlägt den umgekehrten Weg ein und bemühte sich das Physikalische aus dem Biologischen abzuleiten. Der Holismus (gr. "holon" = das Ganze) ist eine Weltperspektive, die sich gegen das mechanistische Wirklichkeitsverständnis und seinen ständigen Hang, alles in geringsten Bestandteile zerlegen zu wollen richtet und sodann die These vertritt, die Teile sind eher vom Ganzen her zu verstehen und nicht umgekehrt, also das Ganze von seinen Elementen. Der Holismus geht von einer organizistischen Natursicht aus, indem er den "Organismus" als Ganzheit für ein Modell der Wirklichkeitserklärung ansieht und daher die ganze Natur als ein selbstorganisiertes Lebewesen versteht. Es geht beim Holismus um ein neues Paradigma. Wenn der Mechanismus die "Maschine" als Vorbild betrachtet, um die Natur zu erklären, hält der Holismus stattdessen die Organismen als in sich geschlossene Ganzheiten für seine Leitmotive in Sachen Naturerklärung. 

Die Bedeutung des Phänomens des Organischen in Kants Naturphilosophie



Bei Kant können verschiedene Weltperspektiven unterschieden werden, die seiner Natur- und Ethikphilosophie zugrunde liegen.
Basierend auf die Newton‘sche Physik, begründet Kant zuerst eine deterministische Weltsicht, woran sich die neuzeitlichen Wissenschaften orientieren. Diese Perspektive verkörpert die kopernikanische Wende Kants, die der Naturwissenschaft keine Erkenntnis der Welt an sich zuspricht, sondern nur deren Phänomenen, wie sie den Vernunftgesetzen gemäß erkannt werden. Eine dieser Kategorien der Vernunft, die a priori (vor Erfahrung) in uns existiert, ist die Kausalität, die wiederum das Gesetz dieser deterministischen Natursicht darstellt.
Ausgehend davon, dass die Freiheit bei menschlichem Handeln eine notwendige Bedingung dafür ist, jede Ethik zu begründen, entwirft Kant ein zweites, diesmal ein praktisches Weltbild, indem er die Freiheit postuliert und dieses Postulat darin verwurzelt sieht, dass in der uns gegenüber verschlossen bleibenden, nicht erkennbaren "Welt an sich" diese Freiheit denkmöglich ist. Die menschliche Handlungsfreiheit ist ein wesentlicher Bestandteil der Kantischen Ethikphilosophie. Die Freiheit auf eine solide Basis zu begründen beleibt aber ein schweres Unternehmen. Kant geht in seiner "Kritik der Urteilskraft" einen Schritt weiter, um diese „Grundlegung“ zu "konsolidieren". Er holt den Aristoteles'schenGrundgedanken der Teleologie zurück und entwickelt seine organizistische Philosophie, die Natur und Freiheit noch stärker zu verzahnen versucht. Indem er den Lebewesen eine dynamische Selbstorganisation zurechnet, stellt er damit neben der wissenschaftlichen Natursicht eine Naturdeutungsperspektive, die zwar keine neue wissenschaftliche Erkenntnis ermöglicht, aber es "legitimiert", freiheitliche Vorstellungen in die natürliche Wirklichkeit heranzutragen. Wenn wir selbst als Freiheitswesen aus der Natur herkommen, dann müssen wir nach Kant, die Lebewesen als selbstorganisationsfähig ansehen, indem Sinne, dass Organismen nicht nur bewegte Kräfte besitzen, sondern auch bildende Kräfte. Daher kann der Mensch sich selbst Handlungszwecke frei bestimmen. Um die Freiheit der Menschen aus dem neuzeitlichen deterministischen Mechanismus zu "retten", interpretiert Kant die Lebewesen als selbstorganisationsfähig und daher vermögen die Menschen von sich selbst aus, sich Zwecke und Ziele frei zu wählen und danach zu handeln.

Die Hauptunterschiede der Naturphilosophie bei Platon und Aristoteles



Die Naturphilosophie bei Platon und Aristoteles beschäftigt sich mit der Klärung der Grundprinzipien der natürlichen Wirklichkeit.

Platon stellt zuerst fest, dass die veränderliche Welt, die wir sinnlich wahrnehmen nur eine trügerische Welt bzw. ein Abbild einer idealen Welt ist, die allein die wahre Wirklichkeit darstellt. Diese Ideenwelt ordnet jedem konkreten Seiende eine ewige, unveränderliche „Idee“ zu, die sein wahres und vollkommenes Sein verkörpert. Diese Unterscheidung zwischen der konkreten, sinnwahrnehmbaren Welt und einer „Ideenwelt“ veranschaulicht Platon mithilfe seiner berühmten Allegorie von dem "Höhlengleichnis". Er konstruiert seine ideale Welt nach dem Vorbild der Mathematik, v.a. der Geometrie, wobei die geometrischen Objekte wie etwa Kreis oder Gerade nur ideal vorzustellen sind, um damit rechnen zu können, denn nur „Ideen“ dieser mathematischen Objekte sind wahr und vollkommen, ein Kreis oder Gerade inWirklichkeit hingegen nur Abbilder, also angenäherte und unvollkommene Objekte sind. Platons Naturphilosophie bemüht sich die idealen Grundlagen der konkreten Welt zu präsentieren, indem er den Blick eher auf die Ordnungsvernünftigkeit der Wirklichkeit lenkt als auf ihre sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften wie etwa Bewegung. Die Ideenwelt ist statisch und in der Ordnung ruhend, wobei die konkrete Welt der wirklichen Dinge mit Bewegung und Änderung gekennzeichnet, alsochaotisch und unzuverlässig ist. Diese formale Sichtweise natürlicher Strukturen ermöglicht Platon der sinnlichen Welt eine ideale Welt gegenüberzustellen. Da Mathematik für Platon eine maßgebende Rolle spielt, strebt er eine mathematische Naturbeherrschung (und nimmt sie übrigens der Neuzeit vorweg) auf zweierlei Methoden: „[...] zum einen über das Konstruktionsverfahren, das sich den formalen, gesetzmäßigen Beziehungen der Weltkörper untereinander zuwendet, zum anderen über das Reduktionsverfahren, das die materiellen Weltkörper selbst auf mathematische Prinzipien reduziert.“ (1)

Des Weiteren hat die platonische Naturphilosophie eine andere Dimension in Bezug auf die Entstehung der konkreten Wirklichkeit aus der idealen Welt, nämlich der Entwurf eines mythischen Bildes, wonach diese Schöpfung als Handwerk eines Schöpfergottes bzw. eines Demiurgen interpretiert ist. Platon bleibt in der Tradition der Antike und sieht diese Schöpfung nicht als eine Kreation aus dem Nichts an (2), sondern als eine Überführung eines chaotischen Standes in eine Ordnung, die der Vernunft entspricht. Platon geht weiter und hält den Kosmos als ein lebendiges Ganzes, das von einem vernünftigen Geistes ("Weltseele") regiert und bewegt ist. 

Der Philosoph des Werdens Aristoteles geht anders vor als sein Lehrer Platon, indem er eher die Erfahrungswirklichkeit fokussiert, die nach ihm ihre Ursachen (Grundprinzipien) in sich selbst trägt. Sein Naturverständnis entspringt dem Modell des Lebendigen, da er durch die Medizin seiner Zeit sehr beeinflusst war. Er beobachtet die lebendige Natur, die sich nach intrinsischem Antrieb bewegt. Er leitet daraus seinen Grundgedanken der Teleologie (Zielgerichtetheit) ab, der als Basis seiner Naturphilosophie wird. Nicht eine Konstruktion nach mathematischem Plan bringt ein Naturseiende hervor wie bei Platon, sondern dieses Seiende enthält sein Entwicklungsziel keimhaft in sich, wonach es sich bewegt und entfaltet, um das zu werden, was es endlich ist. „Während Platon ein technomorphes Naturmodell präferiert, favorisiert Aristoteles aufgrund seiner Herkunft als Arzt und aufgrund seiner größeren Empirie- und Praxisnähe ein Organizistisches, das die Schaffens- und Wirkkraft der Natur betont.“ (3)

Aristoteles beschränkt sein teleologisches Naturverständnis nicht auf das organische Lebendige, sondern erweitert es auf die anorganischen Seienden wie Steine beispielsweise, indem er postuliert, dass ein fallender Stein auch sein Ziel anstrebt, nämlich seinen "natürlichen bzw. wesensgemäßen Ort". Es geht hier nicht um ein Naturverständnis wie bei Newton in der Neuzeit (viel später), der das Fallen eines Objekts eher als Ergebnis einer wirkenden „Ziehkraft“ der Erde ansieht (Gravitations-gesetz; der Gesetzbegriff selbst ist Erfindung der Neuzeit), sondern dass, die fallenden Objekte die Eigenschaft des „Fallens“ in sich tragen, weil sie nach Aristoteles stets zu ihrem natürlichen Ort (wo sie naturgemäß hingehören) zurückstreben ähnlich einer Pflanze, die ihr „Entfaltungsprogramm“ (Bewegung) in sich selbst enthält. Die Teleologie ist für Aristoteles das innere Prinzip des Werdens für lebhafte (organische) und leblose (rein materielle) Dinge.    


Literatur:

(1): Gloy (1998), S. 239

(2): GLOY (1998), S. 237f.

"Da die antike keine Schöpfung aus dem Nichts kennt, sondern nur einen immerwährenden, unentstandenen und unvergänglichen Kosmos, [...]"

(3): Gloy (1998), S. 239