24.02.2014

„Exzentrische Positionalität“ nach Plessner


„Der Mensch ist dem Menschen problematisch geworden!“ (1)

Die philosophische Anthropologie kann als die intellektuelle Bemühung der Menschen insbesondere seit dem Anfang des 20.Jahrhunderts, diese Problematik zu beleuchten. Plessner ist einer der Vertreter dieser philosophischen Richtung, der das Menschsein dadurch gekennzeichnet, dass der Mensch weltoffen ist in Abgrenzung zur Tierwelt, die an ihre unmittelbare Umwelt instinktgebunden bleibt.

Plessner definiert den Begriff „Exzentrität“ des Menschen, um die Reflexivität bei dem letzten als besondere Eigenschaft hervorzuheben, die dem Menschen ermöglicht, seinen eigenen Standpunkt im Leben zu transzendieren und zu thematisieren. Weiterhin entwirft Plessner den Begriff „Positionalität“, um die Tatsache zum Ausdruck zu bringen, dass der Mensch zugleich wie alle Lebewesen auch durch seinen Standpunkt in der unmittelbaren Umwelt gefangen ist. Somit ist der Mensch einer „exzentrischen Positionalität“ unterliegen, die nach Plessner den Doppelcharakter des Menschseins kennzeichnet: Einerseits ist der Mensch Reflexionsfähig, so dass er in der Lage ist, seine lebendige Wirklichkeit mit Denken und Vorstellung zu überstreiten und anderseits dieser Wirklichkeit aufgrund seiner Biologie gebunden bleibt wie jedes andere Lebewesen auch. Wenn Schlegel davon ausgeht, das Menschsein durch zweierlei verschiedene Prinzipien zu bestimmen ist, nämlich Biologie und Geistigkeit, will Gehlen von dem metaphysischen Prinzip „Geistigkeit“ absehen, indem er erstens den Menschen wegen seiner Instinktunsicherheit als „Mängelwesen“ charakterisiert und dann zweitens den ganzen auf Geist basierenden Kulturbetrieb als Kompensationsversuch dieses biologischen Mangels interpretiert. Gehlen stimmt hier mit Schoppenhauer überein und könnte mit ihm sagen: „Wie die Hand zum Greifen da ist, ist der Geist zum Begreifen da.“ Somit leitet Gehlen die intrinsische Geistigkeit beim Menschen aus seiner Biologie ab, eben aus der mangelhaften Biologie im Vergleich zum Tier.

Wie Schlegel und Gehlen, unterstreicht Plessner seinerseits auch mit allem Druck den offenen Charakter des Menschseins und sagt: „Die eigentümliche Verbundenheit mit der praktischen Situation schließlich verbietet der Philosophischen Anthropologie, den Menschen, wenn auch in der Fülle ‚aller‘ seiner Seinsdimensionen, auf das hin, was er eigentlich sein kann und soll, zu formulieren oder zu definieren. Strukturformeln dürfen keinen abschließend-theoretischen, sondern nur einen aufschließend-exponierenden Wert beanspruchen.“ (2)

Bezogen auf seine kennzeichnende Reflexivität, ist der Mensch nach Plessner „exzentrisch“. Jedoch lässt sich diese „Exzentrität“ nur verstehen, wenn die „Positionalität“ des Menschen in Betracht gezogen ist. In seiner Umwelt biologisch gebunden, aber durch seine Geistigkeit beflügelt, bemüht sich der Mensch ständig diesem „Schicksal“ des eigenen Standpunktes zu entkommen und sich zu transzendieren. Der Doppelbegriff „exzentrische Positionalität“ hilft den Zerrissenheitsaspekt des Menscheins zu beschreiben und führt zugleich zur Kenntnisnahme einer noch radikaler Problematik der philosophischen Anthropologie. Die menschliche Besonderheit "Reflexivität" führt zur "Exzentrität", was nicht anders heißt als die "abenteuerliche" Weltoffenheit, also die Nicht-Definierbarkeit apriori eines Lebenszwecks weder unter individueller Hinsicht noch für die Menschheit als Gattung. Als die Menschen noch vom Kosmos (altgr.: (Welt-)Ordnung) sprachen, sahen Philosophen in dem Menschen einen Mikrokosmos an, und somit dachten, seine Stellung und Wesen abzuleiten. Eberhard Simons sagt: "[...] Früher in der Antike war die Welt Kosmos, im Mittelalter wurde sie zum Universum, in der Neuzeit wurde sie zum Weltraum und jetzt ist das Weltall, das beinah ein 'Weltnichts' ist. Und im Weltall kann man nicht leben; da hat man kein Dach über den Kopf; das ist aussetzend; da wird die Welt nicht mehr zu Heimat; da gibt es keinen Himmel mehr und keine Erde; da gibt es keine Zeit, die den Menschen führt [...]."  (3)

Plessner bringt diese radikale Problematik auf den Punkt: "Wo keine Gewissheit eines Makrokosmos mehr besteht, hat der Gedanke des Mikrokosmos keinen Boden und keine Wahrheit mehr. [...]

Wenn ihre alten metaphysischen und ontologischen Garantien nicht mehr fraglos gelten, dann werden auch Menschheit und Menschlichkeit moralisch zum Problem." (4)  


Literatur
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(1): Abū Hayyān al-Tawhīdī (Philosoph und Literat; 930-1023; Bagdad/Irak)

Quelle: Humanisme et Islam: Combats et propositions. Mohammed Arkoun.

(Arabische Übersetzung: 1.Auflage, 1997, London).

(2): Plessner, Die Aufgabe der philosophischen Anthropologie, S. 137f.

(3): Prof. Eberhard Simons (* 9. Juli 1937 in Chemnitz; † 8. April 2005 in München)

(Video: BR TV ALPHA Sendungen)

(4): Plessner, Die Aufgabe der philosophischen Anthropologie, S. 136-141

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