Wegen seiner biologischen mangelhaften
Ausstattung ist der Mensch im Gegenteil zur Tierwelt nicht in der Lage zu
überleben allein kraft seines Körpers. Die Unsicherheit seiner animalischen
Triebe ermöglicht ihm nicht, sich in einer natürlichen Umwelt im zoologischen
Sinne zu behaupten und sich durchzusetzen. Nach seiner Geburt ist der Mensch
das einzige Tier, der gänzlich und Jahrelang auf erwachsenen Menschen (z. B. Eltern)
angewiesen ist, um zu überleben. Die Betrachtung von menschlichen Säuglingen
zeigt offensichtlich, wie sie im Sitzen schnell das Gleichgewicht verlieren, in
allen Richtungen hilflos kippen/fallen und meistens nicht von sich selbst
wieder aufrecht sitzen oder auf den Rücken zurückkommen, geschweige sich in
irgend einer Weise behilflich sein zu können, was Essen, Trinken oder Pflegen
usw. angeht. Diese große Abhängigkeit von den anderen dauert mehrere Jahre, bis
ein Kind überhaupt etwas mit „sich anfangen“ kann. Hingegen versuchen
Neugeborene z. B. bei Saugtieren schon in den ersten Minuten und Stunden auf
eigene Beine zu kommen und suchen sehr bald ihre Nahrung in welcher Form auch
immer (z. B. Muttermilch). Auch als Erwachsene ist der Mensch gegenüber rohe
Natur- und Tierwelt nicht ohne weiteres überlebensfähig. Die Natur (oder Gott)
hat aber dem Menschen mit einem relativ größeren und intelligenteren Gehirn
versehen (*), das ihm in die Lage versetzt, sich seinen biologischen Nachteilen
zu stellen, indem er sich durch „Technik“ im weitesten Sinn unterstützt. Im
Laufe seiner unzähligen Jahrhunderten Lebensgeschichte hat der Mensch alle
möglich denkbaren „Werkzeuge“ zuerst von der Natur (z. B. Steine, Baumteile,
Tierknocken, Tierhaut, usw.) benutzt und nach und nach diese „Hilfsmittel“
weiterentwickelt und verfeinert bis er auch – ausgehend von Rohstoffen - selber
welche herstellen kann (Töpferei, Seilen/Textilien aus Wolle oder Pflanzen,
Eisenteile, Messer, Schwerte, usw.). Diese Entwicklung gilt für „Hilfsmittel“
zu seinem Schutz gegen Naturphänomene (wie Regen, Kälte, Hitze, Wind, u.ä.m.),
gegen Raubtiere oder anderen ihm fremden Menschen wie auch für die Suche und
Vorbereitung seiner Nahrung und später auch für den Ackerbau, den man übrigens
auch „Kultur“ nennt. Eine genaue Betrachtung aller Unternehmungen des Menschen
für sein Überleben, die v.a. darauf basiert sind, dass er ein denkfähiges
Lebewesen ist, zeigt, dass er zugleich ein Natur- und Kulturgeschöpf ist. Wie
jedes andere Tier muss er seine natürlichen Bedürfnisse wie Hunger, Durst,
Sexualität, Schutz, u.v.m. erfüllen, aber wie er das tut, nämlich durch Hilfe
von technischen Mitteln, macht aus ihm ein künstliches Geschöpf, also das
Kulturwesen schlechthin. Dank seiner noetischen Natur, seiner Vorstellungskraft
und Vernunft bleibt der Mensch nicht bei der Erfüllung der lebensnotwendigen
Bedürfnisse stehen, sondern geht Schritt nach dem anderen weiter v.a. nach der
Entwicklung der mündlichen Sprache und später der Schriften und Ziffern, um
hohe Kulturformen zu entwickeln, die ihm Unterhaltung, Kommunikation,
Gedächtnisbewahrung über Generationen hinweg und kommerziellen Austausch mit
anderen verschaffen. Nietzsche sagt von der Sprache, dass sie die erste menschliche
Bemühung um die Wissenschaft. Und so konnte der Mensch schreiben und rechnen
lernen, Geschichte erzählen, Mythologien erfinden und später Mathematik,
Medizin, Religion, Musik und alles, was den Menschen bis heute kennzeichnet.
Als Naturkind wie alle Lebewesen ist der Mensch seiner Mutternatur treu
geblieben, was seine biologischen Ansprüche angeht, aber dank seiner
Denkfähigkeit entwickelt er sich zu dem Kulturwesen per Exzellenz, wobei Natur
und Kultur bei ihm nicht als zwei Entwicklungsstufen anzusehen sind, die
zeitlich nacheinander und getrennt anzureihen sind, sondern eher als einen
Doppelaspekt zu verstehen, der ihn von Anfang an begleitet, so dass man sagen
kann, die Kultur ist die zweite Natur bei dem Menschen, da seine Kulturbemühung
in erster Stelle eine notwendige Kompensation seiner Naturdefizite früher wie
heute ist, wenn auch heutzutage vieles als Überfluss oder auch als Luxus bis
Reinverschwendung von Naturressourcen scheint, was der Mensch kulturmäßig, also
technisch, wissenschaftlich oder künstlich schafft.
Kommentar zum Thema "Mensch als
Mängelwesen":
Logisch wie es klingt, dass die Kultur beim Menschen liegt darin
begründet, seine biologischen Schwächen und Unzulänglichkeiten auszugleichen,
halte ich diesen Gesichtspunkt trotzdem für unzureichend, das menschliche
Kulturschafen zu untermauern. Der Mensch musste doch anfangs überleben, bevor
er sich in seiner Umwelt einrichten konnte, denn die aller ersten Menschen auf
Erde haben es geschafft, sich gegenüber Naturherausforderungen und andere
Lebewesen durchzusetzen, sonst hätten sie nicht überlebt und daher wäre
offenbar die Menschheit heute nicht da. Ich denke, dass der Mensch eher genauso
lebensfähig zur Welt kann, wie alle andere Tiere, die überleben konnten, aber
erst mit der Zeit und dank seiner "Geistigkeit" konnte er nach und
nach seine Umwelt organisieren, um effizienter, sicherer und angenehmer zu
leben, was wiederum dazu allmählich geführt hat, dass er die Fähigkeiten
verliert, die er nicht mehr benötigt, wie der Volksmund sagt: "Wer rastet, der rostet". Wir
beobachten z. B. täglich, wie die wilden und starken Eigenschaften bei
Haustieren zurückgehen, nach dem sie nicht mehr benutzen und sie sich sicher
und nicht mehr bedroht fühlen. Hingegen gewinnen Menschen z. B. durch
langjährigen Sport neue Fähigkeiten wie scharfe Reflexe, genaue Reaktionen
gegen Fremdangriffe und enorme Kraft insbesondere bei Kampfkünsten. Ich denke
hier v.a. an berühmten (legendären) Sportmeistern, die Kampfdisziplinen selbst
erfunden oder weiterentwickelt haben, obwohl es schwer denkbar, dass ein
individueller Mensch in seinem relativ kurzen Leben, alles zurückerobert, was
die Menschheit in Millionen Jahren an Naturtalente stückweise verlernt und
verliert hat. Der Mensch konnte im Laufe der Jahrhunderten seine
'Überlebensnaturwaffen' allmählich aufgegeben als er sie nicht mehr nötig hat
und nach dem er sie durch sein Kulturschaffen (zumindest im materiellen Sinne)
ersetzt hat. Anderseits wusste schon Aristoteles, dass der Mensch mehr braucht
als "Brot", um zu leben, denn er
hält die Vernünftigkeit bei den Menschen auch als Bedürfnis, die genauso
befriedigt werden muss wie die biologischen Bedürfnisse und denkt infolgedessen
z. B., dass das philosophische Leben (bios theoretikos) am glücklichsten sein
solle, weil er seine Freiheit und Vernunftfähigkeit am meisten beansprucht. Die
Kultur als der exklusive Aspekt des Menschseins schlechthin ist für mich nicht
nur eine Antwort auf die Frage der biologischen "Unzulänglichkeiten",
sondern zugleich eine Antwort auf das menschliche Streben, sich selbst stets zu
transzendieren, sonst wäre etwas wie Kunst, Musik, Mathematik und u. ä. m.
nicht gegeben, die zumindest am Anfang keine direkte Antwort auf biologische
Bedürfnisse waren.
_____
(*) Nach
Wissenschaftlern soll sich das menschliche Gehirn auch stets entwickelt haben (in
Größe und Effizienz) und dies aufgrund v.a. von gekochtem Fleisch (nach der
Entdeckung des Feuers). Wenn der Mensch mit „Denkfähigkeit“ ausgestattet war,
gering wie sie auch anfangs sein mochte, und die er immer weiterentwickelte
(Not und Gefahr machen erfinderisch; Versuch und Irrtum), dann ist der Mensch –
so gesehen – von vornherein gar nicht benachteiligt war, sonst hätte er
evidenter Weise gar nicht überleben können. Im Gegenteil, er schaffte sogar
allmählich ein Herrschaftsverhältnis zur Tierwelt und in vielen Hinsichten auch
zur Natur insgesamt, wenn wir von den großen Naturphänomenen wie z. B. den
Wetterherausforderungen oder Erdbeben absehen, die die menschliche Kultur (in
diesem Fall v.a. Wissenschaft und Technik) überfordern.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen