Der Mensch hat zuerst die mündliche
Sprache erfunden. In einem zweiten Schritt wurden die Schriften entwickelt, um
die Sprache zu schreiben. Gesprochen oder geschrieben bezweckt die Sprache in
erster Linie die Kommunikation zwischen Menschen. Wie kann das Kommunizieren
hier verstanden werden?
Erstens müssen die Menschen
miteinander Sachverhalte direkt teilen, also einander etwas sagen, etwa
informieren, versprechen, bitten, befehlen, bedrohen, Gefühle ausdrücken,
Geschichten erzählen, erklären, usw. Zweitens wenn der Mensch etwas schreibt,
will er auch v.a. etwas mit anderen Kommunizieren, also etwa indirekt
Botschaften oder Briefe zukommen lassen, eine Vereinbarung festhalten, Wissen
dokumentieren und so fort. Bei geschriebener Sprache scheint der Archiv- oder
Dokumentationscharakter, d.h. die Aufbewahrung über Zeit und Ort hinweg des
Gesagten oder Mitgeteilten wesentlich. Bei diesem Aspekt der
zwischen-menschlichen Kommunikation erfüllt die Sprache eine universale
Funktion. Sie gewährleitet mündliche Dialoge und schriftliche Mitteilungen
zwischen Menschen. Ein Dialog erfolgt mindestens zwischen zwei Menschen. Aber
auch wenn der Mensch die Sprache als Werkzeug des Denkens benutzt, ist er im
„Dialog“ mit sich selbst, davon abgesehen ob er dabei schweigt, „murmelt“, laut
spricht oder schreibt. In diesem Fall zeigt sich die individuelle Dimension der
Sprache für einen Menschen. Denn um zu denken muss sich der Mensch äußern, also
sich mithilfe der Sprache seine Gedankeninhalte ‚vor‘-stellen, also „nach Außen
oder vor Auge bringen“, indem er gleichzeitig passende Worte wählt, Sätze
formuliert und schriftlich oder im Gedächtnis alles „festhält“ und so drauf
bauend weiter denkt bzw. Gedanken produziert. Bei dem Doppelaspekt der Sprache
als universal und individuell lässt sich kaum vorstellen, diese zwei Dimensionen
auseinander zu halten und getrennt zu denken. Eher scheint hier eine Dynamik
oder Dialektik zwischen den beiden Aspekten der Fall zu sein, denn ein Mensch
ist nur sprachfähig, weil er in einer Gemeinschaft lebt, die wiederum nur durch
Sprache zur Gemeinschaft wird.
Grundsätzlich lässt sich jede Sprache
in andere Sprachen übersetzen und ihr Regelwerk sogar von denjenigen
nachvollziehen, die sie nicht beherrschen, was für ihre universale Dimension
spricht. Gleichzeitig ist eine Sprache nur schwer in eine andere übersetzbar,
denn Sprachen sind sehr kulturabhängig und da die Kulturen sehr verschieden
sind, bleiben viele Eigentümlichkeiten einer Sprache aller anderen Sprachen
mehr oder minder verschlossen (je nach Ursprungsnähe oder -ferne).
Desweiteren „färbt“ jedes Individuum
seine Muttersprache anders ein als alle anderen, die mit ihm die gleiche
Muttersprache teilen. Da Menschen im Grunde unterschiedlich sind, eignet sich
jeder seine Sprache anders. Wenn wir Texte von Autoren lesen, die in der gleichen
Muttersprache aufgewachsen sind, stellen wir schnellst fest, wie eigenartig sie
sich ausdrücken, sogar wenn sie den gleichen Sachverhalt behandeln oder
beschreiben. Auch umgangssprachlich reden Menschen (z. B. die Deutschen) sehr
verschieden, indem sie ihre eigenen Sätze bauen, bestimme Worte bevorzugen,
anders artikulieren oder betonen usw. All das zeigt, dass Sprachen sehr
individuell sein können, jedoch ohne, dass sie jemals „Privatsprachen“ werden.
Wittgenstein hat eindeutig gezeigt, dass die letzten schlicht unmöglich
sind.
Wir leben und denken in Sprachen, die
vorerst von anderen vor uns geschaffen sind, aber von uns selbst stets neu
erschaffen bzw. bereichert werden, indem wir mit unserer eigenen Art und Weise
zu sprechen und schreiben beitragen. Wir sind sozusagen Konsumenten der Sprache
aber auch zugleich ihre Schaffer. Insbesondere sind Sprachkünstler wie Poeten
oder Literaten die großen Schaffern von „Sprache“, nicht im Sinne von einer
völlig neuen Sprache, sondern indem sie zu einer vorhandenen Sprache Neues
hinzufügen, was Stil, d. h. Syntax bzw. Satzbau, Umdeutung bekannter Wörter und
womöglich Erfindung neuer Begriffe angeht. In diesem Fall der Sprachkunst zeigt
sich der individuelle Aspekt einer Sprache am besten, wenngleich auch beachtet werden
muss, dass die Syntax als Teil der Grammatik gerade dem Regelwerk einer Sprache
gehört, das eher auf den universalen, also allgemein verstehbaren Charakter
hinweist. In diesem Zusammenhang von Begriffserschaffung unterscheidet Gille
Deleuze drei Hauptkonzepten, nämlich Begriff (bzw. Konzept), „Perzept“ und
„Affekt“. Ihm zufolge sind „Begriffe“ von Philosophen geschaffen, um bestimmte
Probleme denken oder möglicherweise diese Probleme überhaut erkennen zu können.
Er definiert sogar die Philosophie, indem er dieser Disziplin, die Aufgabe
zuspricht, die Probleme zu bestimmen, die einen Sinn haben und die Begriffe zu
erschaffen, die uns helfen, diese Probleme zu lösen oder zumindest besser zu
verstehen. Ein „Perzept“ hingegen ist eine Art Sammlung von Perzeptionen oder
Wahrnehmungen, die v.a. von großen Künstlern etwa Malern oder Schriftstellern
aufgenommen und in Werken zeitunabhängig, also verewigt gemacht sind. Sie
beantworten damit nach Deleuze etwa die Frage „Was passiert mit bestimmten und
besonderen „Perzeptionen“, die jemand in Hier und Jetzt erlebt, nachdem einige
Zeit vergangen ist?“. Und letztens ist ein „Affekt“ der Ausdruck von manchen
Sensationen und Ektasen, die wir erleben und uns für eine bestimmte Dauer
„außer uns bringen“, unser Staunen wecken und uns völlig „überfordern“. Er
denkt, dass v.a. die Musiker so etwas können. Ihm (Deleuze) ist die
Wechselwirkung oder Abhängigkeit zwischen diesen drei Konzepten natürlich
bewusst. Er meint, dass es eher um eine Akzent- oder Betonungsfrage geht als um
eine scharfe Abgrenzung und dass er sich sogar eine „zirkuläre Bewegung“
zwischen „Begriff“, „Perzept“ und „Affekt“ vorstellen kann.
Wenn wir Sprache auf alles erweitern,
womit sich Menschen äußern, dann sind „Begriffe“, „Perzepte“ und „Affekte“ (im
Sinne von Deleuze) ein gutes Beispiel wie die Sprache gleichzeitig etwas
Individuelles und Universales verkörpern kann, indem sie erstens für einen
kreativen Menschen zur "Baustelle" wird, wo er durch Sprache die Welt
denkt, "versteht", neu interpretiert und sich dadurch individualisiert,
also "wird, was er ist". Und zweitens ist sie das Medium, mit dem er
den anderen alles mitteilen kann, was er denkt und neu kreiert und somit, der
Sprache und der Menschheit einen Dienst leistet.
Der Philosoph Wilhelm von Humboldt
unterscheidet zwischen dem Werk- und Tätigkeitscharakter (gr. „Ergon“ und
„Energeia“) der Sprache, um zwischen ihrer instrumentellen und pragmatischen
Dimension im Leben und ihrer lebendigen und lebensschaffenden Dimension
auseinander zu halten und v.a. den letzten Aspekt hervorzuheben und
hochzupreisen. Die Sprache als „Energeia“ ist für den menschlichen Geist wie
eine Art „Brennstoff“ oder „Energiequelle“, die ihm sein sprachliches Entfalten
in einer Gesellschaft ermöglicht und diese Gesellschaft selbst bildet und als
solche zusammenhält.
„Die
Sprache ist gleichsam die äußerliche Erscheinung des Geistes der Völker; ihre
Sprache ist ihr Geist und ihr Geist ist ihre Sprache, man kann sich beide nie
identisch genug denken.“
(1)
Die neuen
Forschungen aus der Neurologie stimmen mit Humboldts Sichtweise überein, denn
sie zeigen, wie eine bestimmte Sprache z. B. das Gehirn eines Kindes anders
beeinflusst als eine andere Sprache. Kinder, die z. B. Englisch lernen,
erhalten andere Spuren und Entwicklungen im Gehirn zum Vergleich mit Kindern,
die eine andere Sprache lernen wie Chinesisch beispielsweise (2).
Die
Verschiedenheit der kultur- und völkerbedingen Sprachen, auch wenn sie stets
durch individuelle sowie universale Dimension gekennzeichnet sind, sprechen
gegen die neuzeitliche Sichtweise einer auf Vernunft basierten Einheit der
Menschen, wenngleich diese Einheit vom Humboldt auch nicht aufgegeben ist,
sondern lediglich anders begründet ist: „Denn
so wundervoll ist in der Sprache die Individualisierung innerhalb der
allgemeinen Übereinstimmung, daß man ebenso richtig sagen kann, daß das ganze
Menschengeschlecht nur eine Sprache,
als daß jeder Mensch eine besondere besitzt.“ (3)
Literatur
_____
(1): Humboldt,
GPTD VII, S.67
(2): B. Stiegler (www.Pharmakon.fr)
berichtet über Varina Wolf, M.D. Neurologe
(3): Humboldt,
GPTD VII, S.77
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