Die Geschichtsphilosophie Kants
bezieht sich auf einen Naturbegriff, der sich nicht am Kausalprinzip der
Naturwissenschaft, sondern an dem Organischen orientiert und dessen innerer
Zweckmäßigkeit. Die Freiheit und Vernunft sind beim Menschen (als Mängelwesen)
die Hauptmotive seiner Kulturentwicklung, die seine Instinktfreiheit und
Körperschwächen kompensieren, auch wenn sich diese Potentialanlagen „nur in der Gattung, nicht aber im Individuum
vollständig entwickeln können“ (1). Kant sucht eine Art „Naturabsicht“ in
der Vernunftbestimmtheit der Menschen. Er problematisiert seine Leitfrage, ob
die Geschichte durch Menschwillen bestimmt bzw. vernünftig wäre: „ob es wohl vernünftig sei, Zweckmäßigkeit
der Naturanstalt in Teilen und doch Zwecklosigkeit im Ganzen anzunehmen“
(2). Seine Abhandlung „Idee zu einer allgemeinen
Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“ bemüht sich, Argumente für eine
Zweckmäßigkeit der ganzen Geschichte herauszuarbeiten. Er sieht das wesentliche
Argument darin bestehen, dass sich die Naturanlage des Menschen in zwei
antagonistische Kräfte aufteilt, nämlich eine „integrierende“, die ihn zu
sozialisieren tendiert und eine, die ihn als Egoisten gegen alle durchzusetzen
veranlasst. Diese widerstreitenden natürlichen Fähigkeiten beim Menschen nennt
Kant „ungesellige Geselligkeit“. Mit diesem Begriff versucht Kant die
Widersprüche menschlicher Neigungen zwar als Dynamik der Kulturentwicklung zu
erfassen, wobei aber die „wilde“ Freiheit ohne Vernunft (also ohne Moral) zu
Kampfhandlungen führen muss, die wiederum eine friedliche Gesellschaft zwischen
Menschen für unmöglich machen. Im Umkehrschluss dieser Analyse Kants stellt
lediglich ein Kompromiss zwischen Freiheit und Vernunft (praktisch verkörpert
in Gesetzen und Staatsverfassungen) eine Basis für eine weltbürgerliche
Fortschrittsgeschichte dar. Die „ungesellige Geselligkeit“ zu überwinden bzw.
positiv für die Menschheit einzusetzen, zeigt die Notwendigkeit, dass die
Geschichtsphilosophie in eine politische Philosophie münden muss, die für
rechtliche Staatsordnungen sorgt und somit die Menschen voreinander schützt und
letztendlich ein Zusammenleben in „vernünftige“ Freiheit für alle ermöglicht.
„Aus Not“ kann jeder „Weltbürger“ einsehen, dass die Rechtstaatlichkeit der
beste Ausweg aus den mörderischen Konflikten ist, von denen die tatsächliche Weltgeschichte
eine Unmenge Belege in Form von Kriegen und gewaltigen Auseinandersetzungen
darbietet. Nach Kant ist diese kosmopolitische Deutung der Geschichte selbst
eine Aufklärung über die vernünftigen Möglichkeiten unserer Freiheit.
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Literatur:
(1): GPTD VI, S. 96
(2): GPTD VI, S. 105
GPTD = Geschichte der Philosophie in Text und Darstellung, Reclam/Stuttgart
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