Johann
Gottfried von Herder setzt
sich mit der Geschichtsphilosophie der Aufklärung auseinander, indem er den
neuzeitlichen Fortschrittsoptimismus kritisiert. Für ihn ist die Vernunft als
Auszeichnung des Menschlichen keine fertige mit uns gebrachte Naturgegebenheit,
sondern eher eine Naturanlage, die uns zwar angeboren ist, aber nur im Laufe
der Menschheitsgeschichte sich entfalten lässt. Im Unterschied zur
Naturgesetzlichkeit, erfolgt die Vernunftbildung getreu seinen eigenen
Gesetzmäßigkeiten. Anders gesagt, Herder deutet die Gesamtgeschichte als einen
Organismus, der in sich seine „Entwicklungskeime“ trägt, wird sich aber erst
mit der Zeit nach und nach bilden. In Auseinandersetzung mit den
Aufklärungsidealen sieht er die Menschheit nicht als ein einheitliches
Über-Subjekt, das die Geschichte in Bewegung setzt, sondern denkt, dass die
menschliche Geschichte vielmehr wie ein organischer Prozess verläuft, wobei
verschiedene Weisen der „Konkretisierung“ des Menschlichen zusammenwirken, etwa
Individuen, Völker oder Nationen. Und gerade die Kulturverschiedenheit zwischen
diesen vielfältigen Realisationsweisen ist eine schöpferische Kraft der
Geschichte. Sprache spielt hierbei eine Schlüsselrolle, daher sind
Geschichtsphilosophie und Kulturphilosophie bei Herder miteinander gewoben. Er ist
auch überzeugt, dass sich am Ende die Vernunft durchsetzen wird, da das
Mängelwesen Mensch in seinem Überleben darauf angewiesen ist, seine natürliche
Fähigkeit, nämlich seine Vernunftanlage fortwährend umzusetzen, indem er von
seinen vielen Irrtümern und Fehlversuchen immer wieder dazu lernt:
„Der Mensch konnte nicht leben und sich erhalten, wenn er nicht Vernunft brauchen lernte; sobald er diese brauchte, war ihm freilich die Pforte zu tausend Irrtümern und Fehlversuchen, eben aber auch, und selbst durch diese Irrtümer und Fehlversuche, der Weg zum bessern Gebrauch der Vernunft eröffnet. Je schneller er seine Fehler erkennen lernt, mit je rüstigerer Kraft er darauf geht, sie zu bessern, desto weiter kommt er, desto mehr bildet sich eine Humanität, und er muß sie ausbilden oder Jahrhunderte durch unter der Last eigner Schulden ächzen.“ (1)
Der Begriff „Humanität“ bezeichnet die Entfaltung der natürlichen Vernunftanlagen des Menschen. Hierzu sagt Herder:
„Humanität ist der Charakter unseres Geschlechts; er ist uns aber nur in Anlagen angeboren und muß uns eigentlich abgebildet werden. Wir bringen ihn nicht fertig auf die Welt mit; auf der Welt aber soll er das Ziel unseres Bestrebens, die Summe unserer Übungen, unser Wert sein. (…) Humanität ist der Schatz und die Ausbeute aller menschlicher Bemühungen, gleichsam die Kunst unseres Geschlechts. Die Bildung zu ihr ist ein Werk, das unablässig fortgesetzt werden muß, oder wir sinken, höhere und niedere Stände, zur rohen Tierheit, zur Brutalität zurück.“ (2)
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Literatur:
(1): J. G. Herder, "Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit 2", S.217
(2): J. G. Herder, "Briefe zur Beförderung der Humanität 1", S.140
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