05.04.2015

Nietzsche und seine drei Formen der Historie, Nutzen und Nachteil



Wenn das Denken Nietzsches einen Grundcharakter haben muss, dann die Orientierung danach, was das Leben fördert, frei entfesselt und schöpferisch bereichert. In Ansehung dieser Kennzeichnung kann der Nietzsche'sche Umgang mit der Geschichte besser nachvollziehbar und nicht mehr verwunderlich, wenn er die historische Bildung als eine Krankheit deutet, woran der Mensch leiden kann:

Unzeitgemäß ist auch diese Betrachtung, weil etwas, worauf die Zeit mit Recht stolz ist, ihre historische Bildung, hier einmal als Schaden, Gebreste und Mangel der Zeit zu verstehen versuche, weil ich sogar glaube, dass wir Alle an einem verzehrenden historischen Fieber leiden und mindestens erkennen sollten, dass wir daran leiden.“ (1) 

Die Kritik der Geschichte bei Nietzsche ist geleitet von der Lebenstauglichkeit als dem Beurteilungskriterium schlechthin und fordert zu einem rechten Umgang mit ihr auf. Also ihm geht es nicht um eine wissenschaftliche Objektivität, sondern einzig um den Fokus des Nützlichen und Vorteilhaften zugunsten eines tatkräftigen, schöpferischen und freien Lebens. 

Um die Vor- und Nachteile der Historie herauszuarbeiten, unterscheidet Nietzsche drei Menschentypen nach der Art und Weise, wie sie sich mit der Geschichte beschäftigen: die Tätigen, die Bewahrenden und die Leidenden. Nach diesen drei Gruppen unterteilt er „perspektivisch“ die Historie jeweils in drei Bereiche und zeigt ihre jeweiligen Nutzen und Nachteile:

a) Die monumentalische Historie ist diejenige, in der sich die Tätigen nach großen historischen Vorbildern orientieren bei ihrem Handeln. Sie wollen auch, dass ihre Taten als wichtige Ereignisse in die Geschichte eingehen, da diese für Sie nichts mehr als eine lange Kette von historischen Taten von großen Menschen ist. Der Nutzen dieser Perspektive, liegt darin, dass die Handelnden aus deren Vorbildern Motivation ausschöpfen und sich damit in ihrer Handlungsfähigkeit gestärkt fühlen. Hingegen lauert die Gefahr, dass sie die realen Ursachen und Zusammenhänge übersehen, wenn sie stets auf das bedeutende Ereignis fokussiert sind.      

b) Die antiquarische Historie ist eine konservative Perspektive, die einen großen Wert auf die Bewahrung und Hochachtung der Vergangenheit legt. Der Vorteil dieser Art Historie liegt darin, dass die eigene Gegenwart tiefwurzelnd in die Geschichte zurückblicken kann, was dem aktuellen Leben mehr Selbstvertrauen und „Identität“ verschaffen kann. Das Nachteilige dabei ist das selektive Fokussieren bestimmter Vergangenheit, die besonders verehrt wird, was offensichtlich mit einer eindeutigen Blickeinschränkung verbunden bleibt. Eine weitere Benachteiligung des Antiquarischen kommt daher, wenn man historische Wurzel nicht allein aus der Begeisterung fürs gegenwärtige Leben sucht, sondern eher das Dagewesene als solches hochschätzt, akkumuliert und ihm vergleichend alles Gegenwärtige als verkommen und zu niedrig bewertet. „Dann erblickt man wohl das widrige Schauspiel einer blinden Sammelwuth, eines ratlosen Zusammenscharrens alles einmal Dagewesenen. Der Mensch hüllt sich in Moderduft.“ (2)

c) Die kritische Haltung gegenüber der Historie nimmt prinzipiell Abstand von der Orientierung an der Vergangenheit und somit meidet die negativen Folgen der beiden vorherigen Perspektiven. Das Neue kann nur entstehen, wenn man von der Tradition, von alten Paradigmen und Werten Abschied nimmt, denn das Historische war selbst Ergebnis eines Lebenswillens, der mal bevorstehende Widerstände überwinden konnte. Nietzsche hält die Geschichte für ungerecht und richtet seine Philosophie nicht nach den Kriterien Wahrheit und Gutheit aus, sondern einzig das Lebenstaugliche dient ihm als Orientierung. Daher denkt er, dass die kritische Haltung gegenüber der Historie auch ungerecht vorgehen und die Vergangenheit umfassend der Kritik unterziehen soll. Das exakte Abwägen der Umstände verhöhnt Nietzsche und hält es für ein „Gelehrtenideal“, das dem Lebensverlangen nicht gewachsen ist. Nichtsdestotrotz kann ein Übermaß an Ungerechtigkeit die Menschen historisch entwurzeln, was wiederum ein Nachteil ist. Mehr noch droht die Gefahr, den Ursprung eigener ungerechter Gewalt, die aus vergangener Ungerechtigkeits-erfahrung herstammt zu verkennen.     

_______
Literatur:
(1): KSA 1, S.246
(2): KSA 1, S.268

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen