Wenn
das Denken Nietzsches einen Grundcharakter haben muss, dann die Orientierung
danach, was das Leben fördert, frei entfesselt und schöpferisch bereichert. In
Ansehung dieser Kennzeichnung kann der Nietzsche'sche Umgang mit der Geschichte
besser nachvollziehbar und nicht mehr verwunderlich, wenn er die historische
Bildung als eine Krankheit deutet, woran der Mensch leiden kann:
„Unzeitgemäß ist auch diese Betrachtung, weil
etwas, worauf die Zeit mit Recht stolz ist, ihre historische Bildung, hier
einmal als Schaden, Gebreste und Mangel der Zeit zu verstehen versuche, weil
ich sogar glaube, dass wir Alle an einem verzehrenden historischen Fieber
leiden und mindestens erkennen sollten, dass wir daran leiden.“ (1)
Die
Kritik der Geschichte bei Nietzsche ist geleitet von der Lebenstauglichkeit als
dem Beurteilungskriterium schlechthin und fordert zu einem rechten Umgang mit
ihr auf. Also ihm geht es nicht um eine wissenschaftliche Objektivität, sondern
einzig um den Fokus des Nützlichen und Vorteilhaften zugunsten eines
tatkräftigen, schöpferischen und freien Lebens.
Um
die Vor- und Nachteile der Historie herauszuarbeiten, unterscheidet Nietzsche
drei Menschentypen nach der Art und Weise, wie sie sich mit der Geschichte
beschäftigen: die Tätigen, die Bewahrenden und die Leidenden. Nach diesen drei
Gruppen unterteilt er „perspektivisch“ die Historie jeweils in drei Bereiche
und zeigt ihre jeweiligen Nutzen und Nachteile:
a)
Die monumentalische Historie ist
diejenige, in der sich die Tätigen nach großen historischen Vorbildern
orientieren bei ihrem Handeln. Sie wollen auch, dass ihre Taten als wichtige
Ereignisse in die Geschichte eingehen, da diese für Sie nichts mehr als eine
lange Kette von historischen Taten von großen Menschen ist. Der Nutzen dieser
Perspektive, liegt darin, dass die Handelnden aus deren Vorbildern Motivation
ausschöpfen und sich damit in ihrer Handlungsfähigkeit gestärkt fühlen.
Hingegen lauert die Gefahr, dass sie die realen Ursachen und Zusammenhänge
übersehen, wenn sie stets auf das bedeutende Ereignis fokussiert sind.
b)
Die antiquarische Historie ist eine
konservative Perspektive, die einen großen Wert auf die Bewahrung und
Hochachtung der Vergangenheit legt. Der Vorteil dieser Art Historie liegt
darin, dass die eigene Gegenwart tiefwurzelnd in die Geschichte zurückblicken
kann, was dem aktuellen Leben mehr Selbstvertrauen und „Identität“ verschaffen
kann. Das Nachteilige dabei ist das selektive Fokussieren bestimmter
Vergangenheit, die besonders verehrt wird, was offensichtlich mit einer
eindeutigen Blickeinschränkung verbunden bleibt. Eine weitere Benachteiligung
des Antiquarischen kommt daher, wenn man historische Wurzel nicht allein aus
der Begeisterung fürs gegenwärtige Leben sucht, sondern eher das Dagewesene als
solches hochschätzt, akkumuliert und ihm vergleichend alles Gegenwärtige als
verkommen und zu niedrig bewertet. „Dann
erblickt man wohl das widrige Schauspiel einer blinden Sammelwuth, eines
ratlosen Zusammenscharrens alles einmal Dagewesenen. Der Mensch hüllt sich in
Moderduft.“ (2)
c)
Die kritische Haltung gegenüber der
Historie nimmt prinzipiell Abstand von der Orientierung an der Vergangenheit
und somit meidet die negativen Folgen der beiden vorherigen Perspektiven. Das
Neue kann nur entstehen, wenn man von der Tradition, von alten Paradigmen und
Werten Abschied nimmt, denn das Historische war selbst Ergebnis eines
Lebenswillens, der mal bevorstehende Widerstände überwinden konnte. Nietzsche
hält die Geschichte für ungerecht und richtet seine Philosophie nicht nach den
Kriterien Wahrheit und Gutheit aus, sondern einzig das Lebenstaugliche dient
ihm als Orientierung. Daher denkt er, dass die kritische Haltung gegenüber der
Historie auch ungerecht vorgehen und die Vergangenheit umfassend der Kritik
unterziehen soll. Das exakte Abwägen der Umstände verhöhnt Nietzsche und hält
es für ein „Gelehrtenideal“, das dem Lebensverlangen nicht gewachsen ist.
Nichtsdestotrotz kann ein Übermaß an Ungerechtigkeit die Menschen historisch
entwurzeln, was wiederum ein Nachteil ist. Mehr noch droht die Gefahr, den
Ursprung eigener ungerechter Gewalt, die aus vergangener
Ungerechtigkeits-erfahrung herstammt zu verkennen.
_______
Literatur:
(1):
KSA 1, S.246
(2):
KSA 1, S.268
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