Der Mensch als das auf Kultur
angewiesene Mängelwesen versucht, seitdem es ihn gibt, die Natur zu beobachten
und in ihr ein Vorbild seines kulturellen Schaffens zu suchen. Z. B. durch
Nachahmung der Natur und Inspiration an Tieren entwickelt er seine Jagd- und
Kampfstrategien, produziert aus pflanzlicher und tierischer Haut und Wolle
Schutzkleidung und baut Fruchtbäume und Getreide bis er sogar in die Luft
fliegt und in die natürliche Prozesse gentechnisch eingreift und die
Naturentwicklung beeinflusst und umgestaltet.
Das griechische Wort „Mimesis“ steht
etwa für diese Nachahmung der Natur durch die Menschen und zwar in zweierlei
Hinsichten, nämlich produktiv wie ästhetisch. Denn nicht nur bei der
Herstellung seiner biologischen Lebensbedürfnisse nachahmt der Mensch die
Natur, sondern auch bei dem rein vergnüglichen Ätherischen. Aber bei dieser
ästhetischen Dimension begnügt sich der Mensch nicht mit einer exakten
Abbildung der Natur, sondern versucht er je nach Epoche, Kunststil und -werk
seine mimetische „Nachahmung“ zu variieren.
Der Begriff „Mimesis“ verkörpert eigentlich mehr als seine deutsche Übersetzung „Nachahmen“, denn das künstlerische Schaffen beabsichtigt mehr als eine konkrete Naturerscheinung (etwa eine schöne Landschaft) getreu wiederzugeben, er versucht den natürlichen schöpferischen Prozess selbst und dessen Ordnungen und Gesetzlichkeiten zu wiederholen, so dass die Kunst sich der Natur anzugleichen strebt.
Schauen wir jetzt einige Deutungen, die dieses Konzept „Mimesis“ durch die Geschichte erfahren hat.
Sokrates zieht eine Parallele zwischen dem logischen Induktionsverfahren und der Mimesis; man geht vom Besonderen aus, um mimetisch auf das Allgemeine zu schließen.
Platon bleibt seiner Ideenlehre treu, als er die Mimesis kritisiert inwieweit sie sich an sinnlichen „Abbildern“, nämlich unvollständigen wirklichen Dingen orientieren statt an deren vollkommenen „Ideen“. Damit sind die mimetischen Erzeugnisse nach Platon doppelt „verfälscht“oder „verzerrt“, da sie als Vorbild Objekte der Sinnenwelt nehmen, die ihrerseits ohnehin nur einen Abglanz deren „Ideen“darstellen. Darüber hinaus können die Künstler bei ihren Tätigkeiten ihre eigenen Fantasien andichten, was zu einer verführerischen Scheinwelt führt, die die Menschen von der Realität ablenkt und fern hält.
Aristoteles definiert „techne" als Mimesis der Natur, wobei das gr. Wort techne (dt. Kunst in weitem Sinne) sich auf alles bezieht, was etwa Handwerk, Können, bestimmte Lebenspraxis oder Fertigkeit angeht. Als Philosoph des Werdens meint Aristoteles unter Mimesis nicht den Versuch, Naturgestalten äußerlich abzubilden, sondern den Naturprozess selbst in seinem Tun „nachzuahmen“ und sich daran zu orientieren. Ihm geht es um die Abläufe der Natur als Vorbild im Fokus zu nehmen, um technische Perfektion zu erreichen. Z. B. nimmt jede Herstellung (gr.poisis) ihr Vorbild an dem natürlichen Wachsen von lebendiger Natur.
Im Mittelalter erfährt die Idee „Mimesis“ eine christliche Umdeutung und wird zur Nachahmung der göttlichen Schöpfungskraft. Es ist nicht mehr die Natur selbst, sondern der Schöpfer Gott, der die Naturschönheit hervorbringt. Es gilt dann ihn als Schöpfungsvorbild zu nehmen. Unter dieser Perspektive kann die menschliche Kunst nicht als Vervollkommnung der Natur angesehen werden, da sie der göttlichen Schöpfung untergeordnet ist. Aber diese mittelalterliche Auffassung hat es nicht verhindert, die künstlerische Kreativität als ein Nachmachen bzw. „Ebenbild“ der Schöpfungskraft Gottes umzudeuten und den Weg dafür zu öffnen, dass sich die Neuzeit von der theologischen Vorgabe befreit und den Künstler als einen freien autonomen und genialen Neuschöpfer im Mittelpunkt zu rücken. Als Gegenstand der Mimesis wird nicht mehr die Naturschönheit, sondern die Freiheit des Schaffens. Im Spätmittelalter hat der Philosoph und Theologe Nicolas Casanus das „Ebenbild“ Gottes des Menschen als eine Teilhabe an der freien Schöpfungskraft interpretiert. In der Philosophie der Renaissance wird die kreative Freiheit des Menschen an die erste Stelle gesetzt.
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