Die Benutzung des Worts
"ästhetisch" ist heute in allen Bereichen des Lebens verbreitet. Man
versteht darunter etwa "schön" oder "schön gestylt" und
wird fast überall in den Mund genommen, das geht vom Friseur, über Wohnzimmer,
Hotels, Kaufhäuser, TV Shows bis zu den modernen Autos. Es bleibt nicht beim
Friseur, wenn es um den menschlichen Körper handelt, sondern geht weiter mit
der modischen Kleidung, Bodybuilding bis hin zur Schönheitschirurgie. Die
Ästhetisierung im Sinne vom "Schönmachen", "Verhübschung"
von Gegenständen, Räumlichkeiten, menschlichen Körpern und sogar vom tierischen
Aussehen (etwa Hunden oder Katzen) ist eine "Eigentümlichkeit"
unserer Zeit geworden. Diese Entwicklung ist historisch wohl nachvollziehbar in
Angesicht der Entwicklung der wissenschaftlichen und technischen Fähigkeiten
des Menschen, der anfangs in erster Stelle gegen die natürlichen Zwängen und
Bedürfnissen seines (Über)Lebens kämpfen muss, aber nach und nach setzt er
seine Wissenschaft und Technik dafür, sein Leben nicht nur
"abzusichern", sondern auch u.a. etwas "ästhetisch" zu
gestalten, um seinen Sinn für "Schönheit" zu erfüllen. Das
Mängelwesen "Mensch" benötigt nicht nur die Technik, um sein
biologisches Mängelwesen zu kompensieren, er besitzt weiterhin andere geistige
Dimensionen, die ihn stets veranlassen, sich selbst und seine Umwelt im
weitesten Sinne zu verändern. Es gibt viele Begriffe, die diese komplexen
Dimensionen bei der menschlichen Gattung darstellen versuchen, etwa "Wissendrang",
"Neugier" oder mehr philosophisch etwa die berühmte Aufforderung
Sokrates "Erkenne dich", die uns implizit "vorwirft", dass
wir uns gar nicht kennen; die Kantische "gesellige Ungeselligkeit"
des Menschen, die uns als "sozial" und "egoistisch"
zugleich "stempelt"; die Art "dunkler Trieb", der nach
Schoppenhauer das menschliche Handeln antreibt; die "Wille zur Macht" soll
nach Nietzsche den Menschen in seinem Tun und Lassen bewegen; das "Unbewusste", das nach Freud von
uns zwar unkontrolliert bleibt, aber trotzdem uns vorwiegend lenkt; oder nicht
zuletzt die „exzentrische Positionalität“, mit der Plessner den widersprüchlichen
menschlichen Doppelcharakter beschreiben versucht, wie der Mensch seiner
Biologie gefangen bleibt, aber gleichzeitig und dank seiner Reflexionsfähigkeit
seine Umwelt durch Denken transzendieren bestrebt. Was hat das alles mit
"Ästhetisierung" zu tun?
Die
Vielfalt der Humanwissenschaften (Hermeneutik, Kunst, Literatur, Musik,
Geschichte, Psychologie, Soziologie, Anthropologie, usw.) und manche
Naturwissenschaften wie Biologie, Medizin v.a. Neurologie oder Gehirnforschung
versuchen die menschliche Mehrdimensionalität und deren widersprüchlichen
Aspekte zu beleuchten, was auch zum Ausdruck bringt, dass dieses Lebewesen
"Mensch" sich, sein Handeln oder seine Beziehung zur Umwelt bei weitem
noch nicht verstanden hat. Mit der Ästhetisierung verfolgt der Mensch seine
ewige "Mimesis" im Sinne der Nachahmung der Natur in einem doppelten
Sinne, zum einen lernt er von den natürlichen Prozessen etwa dem Schwimmen
eines Fisches oder Fliegen eines Vogels, aber auch imitiert die
"Schönheit" der Naturgegebenheiten. Er begnügt sich nicht mehr damit,
die Naturschönheiten zu bewundern, sondern erzeugt selbst künstliche
Schönheiten etwa Gartenbau, künstliche Flüsse, ästhetische Architektur und
alles, was hier einleitend erwähnt wurde. Übrigens hat das "Phänomen"
der Ästhetisierung die menschliche Geschichte stets begleitet, seitdem es
Menschen gibt, wie z.B. die Pfunde der Archäologie (etwa Schmuckstücke,
"ästhetisierte" Wohnorte und Gegenstände, etc.) beweisen. In unserer
Zeit verstärkt sich dieser Trend sehr, da wir technisch, finanziell und auch
kulturbedingt mehr können als unsere (Ur)Vorfahren. Bis hier scheint doch, dass diese
Entwicklung in Ordnung der Menschgeschichte gut passt. Was könnte aber dabei problematisch
sein, dass der Mensch sich und seine Umgebung immer "schöner" durch
mehr Ästhetisierungsverständnis und -möglichkeiten (um)gestaltet?
Schon Aristoteles hat in seiner
Glücksphilosophie bei der "goldenen Mitte" Ansatz gefunden. Es ist nach
ihm das "Übermaß" bei jeder Unternehmung das Problem. Indem die
modernen Menschen ihre Welt "ästhetisieren" überschlagen sie in
vielen Fällen das "Ausgewogene", das "Sinnvolle" um Längen.
Und das liegt meistens daran, dass der Mensch immer mehr an Autonomie im Sinne
Kants, also an bewusste und "verantwortliche" Selbstbestimmung verliert
und eher immer mehr an Diktat der neuen "Marktgöttern" unterliegt,
die eine Art "neue Religion" für die Menschen repräsentieren
(wollen). Die Märkte setzen genau bei der "ambivalenten" Situation der
Menschen, also bei deren "Unzulänglichkeiten" an, die wir vorhin
anhand beispielhafter philosophischen Begriffe darzustellen versucht haben, um
die vorhandenen "Bedürfnisse" mit Angeboten in Form von Waren oder
Dienstleitungen zu stillen, aber auch - und das ist vor allem das
Problematische -für die produzierte Wahre und Dienstleistungen "scheinbare
Bedürfnisse" bei Menschen zu erzeugen. Dass viele junge Damen und Männer
so aussehen "müssen" wie "Topmodels" oder
"Weltstars" ist heute eine eindeutige Situation, die von
verschiedenen Märkten (von Fashion, Mode, Haarstyling, Bodybuilding bis
Schönheitschirurgie) einerseits "ausgenutzt", aber auch entschieden
fokussiert, gefördert und womöglich sogar "erzeugt". Man kann sich
weiterfragen, und was ist dabei problematisch? Die Nachteile einer solchen
Situation sind unzählbar und deren "Konsequenzen" bzw.
"Auswirkungen" auf andere Lebensbereiche der Menschheit kaum
einschätzbar. Wenn die neuzeitliche Aufklärung über Jahrhunderte hinweg und die
moderne Avantgarde danach versuchten, die Menschen zur Vernunft und Freiheit aufzufordern,
zu "erziehen", damit sie autonom, selbstbestimmend, frei in einer
Gesellschaft friedfertig und verantwortlich gegenübereinander und gegenüber
ihrer (Um)Welt leben, versuchen die modernen Märkte nicht nur die natürlichen
Lebensbedürfnisse der Menschen zu befriedigen, sondern (bewusst oder unbewusst)
dieses Aufklärungsprojekt zunichte zu machen und die Menschen zu einer neuen
Art der "Sklaverei" zurück zu dringen, wo der Mensch nur noch
funktioniert wie etwa Michel Foucault meint oder sich maschinell der
Alltagsroutine widmet, wie es u.a. in Kafkas "Verwandlung" beschrieben ist.
Anstelle der moralischen Orientierung und Selbstbestimmung tritt die Wahl eines
"Lebensstils", eines gestylten Aussehens. Und auch diese Wahl ist nur selten autonom, denn eine Person "glaubt" nur etwas
"auszuwählen", wobei sie aber meistens über "infernale
Umwege" von Marktstrategen, durch direkte oder indirekte Werbung dazu
"inspiriert", "manipuliert", "gezüchtet" und
letztendlich "gezwungen" sei. Und dass die moderne Politik so gut wie
keine Alternativprogramme hat (für was auch immer, Bildung, Kultus, Alternativwirtschaft,
Marktpolitik, ...) als den Neokapitalisten und deren Interessen zu dienen und
den Staat und die Bürger nur noch "verwaltet", stellt eine andere und
bedeutende Dimension einer großen Problematik dar, von der die
"ausweglose" und zum Teil wahnsinnige Ästhetisierung nur ein Aspekt
ist.
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