Man spricht
allgemein von "Kontingenz", wenn es darum geht, das Zufällige, das
Undefinierbare, das Fatale oder das Unkontrollierbare in unserem Leben zu
beschreiben. Erfahrungen (wie z. B. Krankheiten, Unfälle, Kriege, Tod, usw.)
die uns an unsere Vermögensgrenzen stoßen lassen, die uns manchmal schlagartig
ins Bewusstsein darüber versetzen, wie machtlos, endlich, anfällig oder
vergänglich wir sind, werden als "Kontingenzerfahrungen" bezeichnet.
Zur Überwindung
dieser Kontingenzerfahrungen kennt der Mensch verschiedene Lebenspraxen,
darunter stellen die Religionen einen wesentlichen Teil dar. Indem sie das
"Kontingente" als Kehrseite einer übermächtigen "Kraft"
ansehen, versuchen sie diese weiterhin sehr unterschiedlich zu deuten, etwa als
Naturgeist bzw. geistige Übermacht, als höchste Vernunft oder sogar als
personalen Gott. Die meisten Religionen bieten ein lebenspraktisches
Orientierungssystem, das aus Riten, Normen, Symbolen usw. besteht, durch die
der Mensch sich sozial und kosmisch geborgen fühlen kann. Diese Ordnung und die
"Macht" dahinter sind der menschlichen Herrschaft laut dieser
Religionen schließlich entzogen.
In diesem Kontext
(des Herrschaftsentzugs) gekennzeichnet Schleiermacher die Religion durch ein
Gefühl der "schlechthinnigen
Abhängigkeit" (1). Diese scharfe Beschreibung der Abhängigkeit als
schlechthinnig drückt für ihn die Tatsache aus, dass wir sie nicht aus unserer
Freiheit überwinden können, denn sie steht unserer Freiheitserfahrung entgegen
einerseits, aber anderseits können wir sie bloß auf Grund der
Freiheitserfahrung fühlen. Da Schleiermacher die Religion nicht als
Glaubensinhalte versteht, die begrifflich gefasst werden können, spricht er von
einem "Gefühl". Er sieht sie eher als eine Sonderart, die das Ganze
des Universums in lebendiger Anschauung zu erfassen versucht. Die Religion ist
für ihn ein emotionaler Zugang zur Ganzheit des unendlichen Universums, mit
einem Wort, sie ist: "Sinn und
Geschmack fürs Unendliche" (2).
Literatur
(1): Der
christliche Glaube, §4
(2): Über die
Religion, S. 53
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