Um zu verstehen,
was Kierkegaard mit dieser Aussage uns vermitteln will, müssen wir zuerst die
zwei Schlüsselbegriffe darin beleuchten, nämlich „Glaube“ und „Existenz“. Die
Existenzphilosophie des Kierkegaard ist im Grunde genommen eine Auseinandersetzung
mit dem christlichen Glauben. Die „Existenz“ eines Menschen meint etwa die
„Wahrheit“ seines Lebens, also etwa die Antwort auf die Frage, was und wozu ist
sein Leben (überhaupt da). Kierkegaard stellt zuerst fest, dass keiner in der
Lage ist, diese Antwort zu geben. Dafür aber ist offensichtlich, dass die
menschliche Existenz durch Widersprüchlichkeit und Zerbrechen an Konflikten
zwischen Freiheit und Notwendigkeit, Leib und Geist usw. gekennzeichnet ist.
Aus dieser menschlichen Situation ergibt sich „Angst“, die nach Kierkegaard nur
im Glauben zu überwinden ist und somit sind wir beim zweiten Begriff. Es geht
nicht darum, das Wort „Glaube“ zu erklären, sondern eher um die Frage, an was
oder wen soll man glauben? Die christliche Religion meint an „Gott“, also an
eine dem Menschen unbegreifliche Übermacht und hier liegt das nächste Problem
von Kierkegaard, nämlich die Unbegreiflichkeit Gottes. Um den Kerngedanken von
Kierkegaard problematisch darzustellen, können wir sagen: Der Mensch muss
einerseits eine von Grund auf vollwidersprüchliche Existenz führen, die er
nicht versteht und daher ihm Angst macht, aber anderseits versucht er auf
paradoxe Weise, dieses Problem durch den Glauben an einen ihm unbegreiflichen
Gott zu lösen. Wie geht nun Kierkegaard vor, um diese Problematik zu
beleuchten? Er geht eigentlich keinen direkten Weg, sondern viele Umwege, um
auf das Verhältnis Existenz/Glaube aus verschiedenen Perspektiven „aufmerksam
zu machen“. Der Begriff der „Leidenschaft“ spielt eine Zentralrolle in seiner
Philosophie, denn erst damit kommt ein Lebenseinsatz zum Tragen und wird somit
zwischen dem konkreten Existieren bzw. der Wirklichkeit und dem bloßen Denken
unterschieden. Für ihn ist die Leidenschaft vielmehr ein Grundvollzug des
Geistes selbst, insofern er an sich Interesse hat, nicht aber ein Affekt, der
ihm gegenübersteht. Und nur die Leidenschaft führt zu Entscheidungen und einzig
durch diese kann sich wiederum eine selbständige Subjektivität entwickeln. Die
„Innerlichkeit“der Leidenschaft führt in den Existenzkern, nicht aber die
Äußerlichkeiten des Lebens oder des Denkens. All das charakterisiert zugleich
den christlichen Glauben:
„Das Christentum ist Geist, Geit ist
Innerlichkeit, Innerlichkeit ist Subjektivität, Subjektivität ist wesentlich
Leidenschaft, und im Maximum unendliche, persönlich interessierte Leidenschaft
für ihre ewige Seligkeit. Sobald man die Subjektivität fortnimmt, und von der
Subjektivität die Leidenschaft, und von der Leidenschaft das unendliche
Interesse, so gibt es gar keine Entscheidung.“ (1)
Kierkegaard hält
den Glauben für widersinnig, aber gerade an diesem Paradox reibt sich der
Verstand und weckt seine Leidenschaft, aus der das Denken sich auf die ihm
Unbekannte „Gott“ einlässt, es sucht, auch wenn es dabei untergeht. Es geht Kierkegaard
hier um eine Leidenschaft des Denkens, die sich von einem bloßabstrakten Wissen
unterscheidet. Die Existenzwirklichkeit ist zwar vernünftig nicht zu begreifen,
und die Wirklichkeit Gottes noch weniger, aber aus Leidenschaft will das Denken
bis zu dieser Grenze gehen.
„Doch soll man vom Paradox nichts Übles
denken; denn das Paradox ist des Gedankens Leidenschaft [...] Aber die höchste
Potenz jeder Leidenschaft ist es stets, ihren eigenen Untergang zu wollen, und
so ist es auch des Verstandes höchste Leidenschaft, den Anstoß zu wollen, ganz
gleich daß er Anstoß auf die eine oder andere Weise sein Untergang werden muß.
Das ist denn des Denkens höchstes Paradox: etwas entdecken wollen, das es
selbst nicht selbst denken kann. [...] Aber was ist denn dies Unbekannte, an
dem der Verstand in seiner paradoxen Leidenschaft sich stößt, und das dem
Menschen sogar seine Selbsterkenntnis stört? Es ist das Unbekannte. Aber es ist
ja nicht irgendein Mensch, soweit er diesen kennt, oder irgendein anderes Ding,
das er kennt. So laßt uns denn dies Unbekannte den Gott nennen.“ (2)
Der Glaube nach
Kierkegaard ist eine Existenzweise und keine Lehre im Sinnen von einem System
von Inhalten und Vorstellungen, die man systematisch erlernen kann. Der
Verstand verzichtet darauf, die Wahrheit der Existenz zu finden und nimmt dafür
den Glauben an Gott, auch wenn dessen Unbegreiflichkeit zu einem Paradox der
Innerlichkeit selbst führt. Kierkegaard zieht eine Parallele zwischen dieser
Zuspitzung des Religionswidersinns und der christlichen Vorstellung von der
Menschwerdung Gottes.
Literatur
(1): Kierkegaard,
"Abschließendeunwissenschaftliche
Nachschrift ..."I, S. 28f.
(2): Kierkegaard, "Philosophische Brocken" S.35, S.37
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