13.09.2015

Konsequenzen für den Gottesbegriff für Hans Jonas angesichts der geschichtlichen Erfahrung von Auschwitz.


Der Gottesbegriff erfuhr philosophiegeschichtlich durch Leibniz’ Theodizee anscheinend den letzten (und zugleich eleganten) Grundlegungsversuch. Kant hat durch seine Metaphysik-Kritik allgemein (in: Kritik der reinen Vernunft) und seine Religionsphilosophie (in: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft) allen Beweisversuchen des Gottesbegriffs sozusagen „den Boden unter den Füßen entzogen“, indem er erstens gezeigt hat, dass das Wissen auf die empirische Welt eingeschränkt werden muss, denn Begriffsanalyse allein führt notwendigerweise zu Spekulationen, „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“ (1). Und zweitens hat er den Glauben der praktischen Vernunft zugeordnet, also, dem Normativen (Ethik) nicht dem Deskriptiven (Wissen), also die Religion lediglich in seiner Moralfunktion bestätigt. Hierzu Kant:

Ich kann also Gott, Freiheit und Unsterblichkeit zum Behuf des notwendigen praktischen Gebrauchs meiner Vernunft nicht einmal annehmen, wenn ich nicht der spekulativen Vernunft zugleich ihre Anmaßung überschwenglicher Einsichten benehme […] Ich mußte also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu machen.“ (2)

Meiner Ansicht nach, alle Denker und Nachfolger Kants, die sich mit dem Glauben auseinandergesetzt haben, führen mehr oder minder die Kantische kritische Haltung fort, auch wenn sie von dessen jeweiligen Zeithorizont ausgehen und damit Ihren Gedanken eine Art „Zeitkolorit“ bzw. Spezifität geben. Auch Hans Jonas gehört zu diesen kritischen Stimmen, die den Glauben an einen Allmächtigen Schöpfergott unter ihre „Zeitlupe“ - in einem doppelten Sinne - untersucht haben. Einerseits geht ihre kritische Auseinandersetzung von einer bestimmen Zeitperspektive und damit deren zeitlichen Ereignissen aus, anderseits ist ihre Kritik eine Art „Verlangsamung“ der Zeit, als würden sie uns anschreien: „Halt! Schauen wir doch, was ist hier geschehen, bevor wir weiterlaufen?“. Für Jonas ist das Ereignisdas Grauen namens Auschwitz und seine Kritik orientiert sich an der Frage, ob Glauben (v.a. im jüdisch-christlichen Sinne) nach diesem Ereignis noch möglich ist. Für ihn „verblasst“  schlagartig angesichts von Auschwitz jede Rechtfertigung eines absolut guten Gottes, der dazu noch Allmächtig sein will. Jonas bezeichnet ihn als einen Gott, der eher nicht kann, wenn es darum geht aus „Güte und Allmacht“ ein Gräuel zu verhindern. Um seine These zu unterstützen, kritisiert er diesen Begriff eines Allmächtigen, indem er ihn als in sich widersprüchlich und nicht-sagend von Logik her zu beleuchten versucht. Das Wort „Macht“ nach Jonas unterstellt eine Beziehung zwischen mindestens zwei, die keine Gleichheit sein kann, sondern vielmehr eine Ungleichheit, eine (Macht-)Hierarchie zwischen den Betroffenen, was immer noch heißt, alle haben etwas Macht auch in verschiedenen Graden. Wenn es aber um eine „absolute Macht“ (Allmacht) handelt, dann ist die „ganze Macht“ nur auf einer Seite, was für Jonas widersinnig ist. Hierzu sagt er:

Es folgt aus dem bloßen Begriff der Macht, daß Allmacht ein sich selbst widersprechender, selbstaufhebender, ja sinnloser Begriff ist. […] ‚Macht’ ist ein Verhältnisbegriff und erfordert ein mehrpoliges Verhältnis. […] Macht kommt zur Ausübung nur in Beziehung zu etwas, was selber Macht hat. […] Kurz, es kann nicht sein, daß alle Macht auf seitens eines Wirksubjekts allein sei. Macht muß geteilt sein, damit es überhaupt Macht gibt.“ (3)

Weiterhin zieht Jonas das Postulat einer absoluten Güte und Allmächtigkeit des Schöpfergottes seiner Kritik, indem er diesmal ein theologisches Argument herausarbeitet. Für ihn haben unbeschränkte Allmacht und absolute Güte nur unter der Voraussetzung der Unbegreiflichkeit Gottes Bestand.

Doch neben diesem logischen und ontologischen Argument gibt es einen mehr theologischen und echt religiösen Einwand gegen die Idee absoluter und unbegrenzter Allmacht. Göttliche Allmacht kann mit göttlicher Güte nur zusammen bestehen um den Preis gänzlicher göttlicher Unverständlichkeit, d.h. Rätselhaftigkeit.“ (4)  

Jonas denkt, dass eine Unverständlichkeit Gottes, d.h. dass der Mensch, nicht in der Lage ist, Gott zu verstehen, zu einer Absurdität führen muss, nämlich Glauben „funktioniert“ nur mit der Selbstaufgabe der Vernunft. Jonas hält das für unvereinbar mit der jüdischen Tradition, die aber lehrt, dass Gott sich geschichtlich offenbart, also für die Menschen irgendwie verständlich ist.              
 

Literatur

(1): Kant, "Kritik der reinen Vernunft"
(2): Kant, "Kritik der reinen Vernunft" B, XXIXF, Werke II, S. 33
(3): Hans Jonas, "Gottesbegriff", S. 33ff.
(4): ebd.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen