13.09.2015

Die Rede vom Menschen zwischen den Religionskritikern Feuerbach, Marx und Nietzsche. Ein Vergleich.


Kant hat seine Auffassung der"Aufklärung"insbesondere damit definiert, dass der Mensch sich auf seinen Verstand verlassen muss: „Sapereaude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“ (1)

Weiterhin hat er in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ eine klare Linie zwischen Metaphysik- (inkl. Glauben-) und Wissensfragen gezogen. Nun ist der Mensch - meiner Ansicht nach - auf sich selbst zurückgeworfen, nach dem er v.a. während des Mittelalters sich mehr auf die "Offenbarungsreligionen" (also Gott) zählte. Die großen Religionskritiker Feuerbach, Marx und Nietzsche, die nach Kant kamen, trieben seine Aufklärung in Sachen Religion zum Äußersten. Feuerbach geht von dem wesentlichen Unterschied zwischen Tier und Mensch aus, nämlich, dass nur dieser ein Bewusstsein vom Unendlichen hat, um sein Religionsverständnis darzustellen. Er sieht in dieses menschliche Bewusstsein nicht nur den Grund der Religion, sondern auch seinen Gegenstand. Feuerbachs Ziel ist die Überführung alles Religiösen ins Anthropologische, d.h. die Religion letztendlich als eine authentische Dimension des Menschlichen zu „entblößen", also als reine Produktion des menschlichen Bewusstseins, die nachträglich auf ein göttliches Wesen projiziert wird. Aber in dieser äußerlichen Projektion sieht er das Problem, dass sich der Mensch dadurch entfremdet. Die Sehnsüchte und Wünsche beim Menschen sind der Beweis dafür, dass er in der Lage ist, über sein sinnliches Wesen, seine Naturbedingtheit hinauszustreben. „Man kann nicht lieben, nicht wollen, nicht denken, ohne diese Tätigkeiten als Vollkommenheiten zu empfinden.“ (2)

Für Feuerbach ist die Religionswahrheit nicht anders als der Mensch selbst, d.h. der Ausdruck seines unendlichen Wesens, wobei deren Unwahrheit hingegen darin liegt, dass er sein Selbstbewusstsein durch Projektion auf ein unendliches Wesen verstellt.

Marx trat auf der geschichtlichen Szene als der Philosoph, der die Welt verändern will, statt sie nur zu interpretieren, wie - seiner Ansicht nach - die Vorgänger taten. Der junge Marx entwickelt seine Religionskritik in Auseinandersetzung mit Feuerbach. Wenn dieser die Religion lediglich als Schein des menschlichen Bewusstseins (als die Wahrheit des Menschseins schlechthin) zu entlarven versucht, geht Marx noch tiefer und hält das Bewusstsein selbst als Produkt des materialistisch-ökonomischen Bedingungen, in denen die Menschen leben. Er wirft Feuerbach vor, sich in philosophisches Theoriegebäude gefangen geblieben zu sein und das konkrete Leben der Menschen nicht beachtet und daher keine Gesellschaftsveränderung eingeleitet zu haben. Zwar sieht Marx auch in der Kirsche eine Macht der Unterdrückung und Entfremdung der Menschen, die sie mit jenseitiger Vertröstung vom gesellschaftlich-politischen Engagement fernhält, kritisiert er aberzugleich die Religion als „Ideologie“, deren Basis in den gesellschaftlichen Verhältnissen zu finden ist. „Feuerbach löst das religiöse Wesen in das menschliche Wesen auf. Aber das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum innenwohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse. […]

Feuerbach sieht daher nicht, daß das ‚religiöse Gemüt’ selbst ein gesellschaftliches Produkt ist und daß das abstrakte Individuum, das er analysiert, einer bestimmten Gesellschaftsform angehört.“ (3) 

Der Philosoph der Lebensbejahung Nietzsche ist der Religionskritiker, der sich einer religiösen Sprache bedient (v.a. in seinem Werk: Also sprach Zarathustra), um gegen den Theismus (Christentum in erster Stelle) so leidenschaftlich wie mehrschichtig vorzugehen. Im Gegenteil zu allen Philosophen kann er mit seiner vieldeutigen Sprache der Mehrdimensionalität und Fülle des Lebensgerecht werden, die mit der Vernunft nie adäquat und systematisch zu erfassen wären. Die Lebendigkeit des Geistes zeigt sich gerade durch seine kreative Fruchtbarkeit, die wiederum zum Charakteristikum jeder Kritik metaphysischer Absicherungen, mit denen die menschliche Schwäche konfrontiert werden soll.

Nietzsche verhöhnt das Christentum als „Platonismus fürs Volk“ und zwar aus dem Hintergrund seiner scharfen Metaphysik-Kritik allgemein, wobei er die „Welttrennung“ in einer wahren "Platonischen Ideenwelt" und falschen "sinnlichen Welt" verwirft und behauptet, dass die Verneinung des wirklichen Lebens einerseits und der Glaube an einer ‚Hinterwelt‘ anderseits zum „Nihilismus“ führen.

Ein christlicher Gottesbegriff, wonach alles Diesseitige verneint wird (als etwas, das angeblich nicht dem wahren Sein angehörend) ist genauso eine sprachliche Illusion wie die ganze Metaphysik, die noch auf Grammatikvorurteile fußt. Und so lässt er Zarathustra sprechen: „Bleibt mir der Erde treu [...] Lasst sie nicht davon fliegen vom Irdischen und mit den Flügeln gegen ewige Wände schlagen! Ach, es gab immer so viel verflogene Tugend!“ (4)

Er vergleicht das Christentum mit einer Art "Selbstmorde der Vernunft." (5) und beschreibt es weiter so: „Der Christliche Glaube ist von Beginn an Opferung: Opferung aller Freiheit, alles Stolzes, aller Selbstgewissheit des Geistes; zugleich Verknechtung und Selbst-Verhöhnung, Selbst-Verstümmelung.“ (6) 

Gegen jeden Nihilismus hält er seine Philosophie der Bejahung des Lebendigen, des Dionysischen (Dionysos: Rauschgott der Griechen), der kreativen Kraft des Übermenschen. Er hält den aktuellen Menschen für etwas, das man überwinden soll, hin zu dem neuen Menschen, dem Übermenschen: "Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden soll. Was habt ihr gethan, ihn zu überwinden? Alle Wesen bisher schufen Etwas über sich hinaus [...]

Seht, ich lehre euch den Übermenschen! Der Übermensch ist der Sinn der Erde. Euer Wille sage: der Übermensch sein der Sinn der Erde! Ich beschwöre euch, meine Brüder, bleibt der Erde treu und glaubt Denen nicht, welche euch von überirdischen Hoffnungen reden! Giftmischer sind es, ob sie es wissen oder nicht. Verächter des Lebens sind es, Absterbende und selber Vergiftete, denen die Erde müde ist: so mögen sie dahinfahren! Einst war der Frevel an Gott der größte Frevel, aber Gott starb, und damit starben auch diese Frevelhaften. An der Erde zu freveln ist jetzt das Furchtbarste und die Eigenweide der Unerforschlichen höher zu achten, als den Sinn der Erde!" (7)

Nietzsche spricht hier für einen Menschen (Individuum wie Gattung) aus, der des Irdischen treu bleibt und sich seiner schöpferischen Kraft bedient, um über sich hinaus zuwachsen, sich weiter zu entwickeln und zugleich sich von den fesselnden und behindernden Kräften der (von ihm als "Hinterweltler" verhöhnten) Religiösen und Metaphysiker zu befreien.

 
Literatur


(1): Immanuel Kant, "Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?"
in: "Berlinische Monatsschrift", Dezember-Heft 1784, S. 481-494.
(2): Feuerbach, "Das Wesen des Christentums" S. 43f.
(3): Marx, "Thesen über Feuerbach", GPTD VII, S. 264f.
(4): Nietzsche, "Also sprach Zarathustra", Fischer Taschenbuch Verlag, S. 87
(5): Nietzsche, "Jenseits von Gut und Böse", Kritische Studienausgabe 5, S.66
(6): ebd.
(7): Nietzsche, "Also sprach Zarathustra", Fischer Taschenbuch Verlag, S. 13/14

 

Konsequenzen für den Gottesbegriff für Hans Jonas angesichts der geschichtlichen Erfahrung von Auschwitz.


Der Gottesbegriff erfuhr philosophiegeschichtlich durch Leibniz’ Theodizee anscheinend den letzten (und zugleich eleganten) Grundlegungsversuch. Kant hat durch seine Metaphysik-Kritik allgemein (in: Kritik der reinen Vernunft) und seine Religionsphilosophie (in: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft) allen Beweisversuchen des Gottesbegriffs sozusagen „den Boden unter den Füßen entzogen“, indem er erstens gezeigt hat, dass das Wissen auf die empirische Welt eingeschränkt werden muss, denn Begriffsanalyse allein führt notwendigerweise zu Spekulationen, „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“ (1). Und zweitens hat er den Glauben der praktischen Vernunft zugeordnet, also, dem Normativen (Ethik) nicht dem Deskriptiven (Wissen), also die Religion lediglich in seiner Moralfunktion bestätigt. Hierzu Kant:

Ich kann also Gott, Freiheit und Unsterblichkeit zum Behuf des notwendigen praktischen Gebrauchs meiner Vernunft nicht einmal annehmen, wenn ich nicht der spekulativen Vernunft zugleich ihre Anmaßung überschwenglicher Einsichten benehme […] Ich mußte also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu machen.“ (2)

Meiner Ansicht nach, alle Denker und Nachfolger Kants, die sich mit dem Glauben auseinandergesetzt haben, führen mehr oder minder die Kantische kritische Haltung fort, auch wenn sie von dessen jeweiligen Zeithorizont ausgehen und damit Ihren Gedanken eine Art „Zeitkolorit“ bzw. Spezifität geben. Auch Hans Jonas gehört zu diesen kritischen Stimmen, die den Glauben an einen Allmächtigen Schöpfergott unter ihre „Zeitlupe“ - in einem doppelten Sinne - untersucht haben. Einerseits geht ihre kritische Auseinandersetzung von einer bestimmen Zeitperspektive und damit deren zeitlichen Ereignissen aus, anderseits ist ihre Kritik eine Art „Verlangsamung“ der Zeit, als würden sie uns anschreien: „Halt! Schauen wir doch, was ist hier geschehen, bevor wir weiterlaufen?“. Für Jonas ist das Ereignisdas Grauen namens Auschwitz und seine Kritik orientiert sich an der Frage, ob Glauben (v.a. im jüdisch-christlichen Sinne) nach diesem Ereignis noch möglich ist. Für ihn „verblasst“  schlagartig angesichts von Auschwitz jede Rechtfertigung eines absolut guten Gottes, der dazu noch Allmächtig sein will. Jonas bezeichnet ihn als einen Gott, der eher nicht kann, wenn es darum geht aus „Güte und Allmacht“ ein Gräuel zu verhindern. Um seine These zu unterstützen, kritisiert er diesen Begriff eines Allmächtigen, indem er ihn als in sich widersprüchlich und nicht-sagend von Logik her zu beleuchten versucht. Das Wort „Macht“ nach Jonas unterstellt eine Beziehung zwischen mindestens zwei, die keine Gleichheit sein kann, sondern vielmehr eine Ungleichheit, eine (Macht-)Hierarchie zwischen den Betroffenen, was immer noch heißt, alle haben etwas Macht auch in verschiedenen Graden. Wenn es aber um eine „absolute Macht“ (Allmacht) handelt, dann ist die „ganze Macht“ nur auf einer Seite, was für Jonas widersinnig ist. Hierzu sagt er:

Es folgt aus dem bloßen Begriff der Macht, daß Allmacht ein sich selbst widersprechender, selbstaufhebender, ja sinnloser Begriff ist. […] ‚Macht’ ist ein Verhältnisbegriff und erfordert ein mehrpoliges Verhältnis. […] Macht kommt zur Ausübung nur in Beziehung zu etwas, was selber Macht hat. […] Kurz, es kann nicht sein, daß alle Macht auf seitens eines Wirksubjekts allein sei. Macht muß geteilt sein, damit es überhaupt Macht gibt.“ (3)

Weiterhin zieht Jonas das Postulat einer absoluten Güte und Allmächtigkeit des Schöpfergottes seiner Kritik, indem er diesmal ein theologisches Argument herausarbeitet. Für ihn haben unbeschränkte Allmacht und absolute Güte nur unter der Voraussetzung der Unbegreiflichkeit Gottes Bestand.

Doch neben diesem logischen und ontologischen Argument gibt es einen mehr theologischen und echt religiösen Einwand gegen die Idee absoluter und unbegrenzter Allmacht. Göttliche Allmacht kann mit göttlicher Güte nur zusammen bestehen um den Preis gänzlicher göttlicher Unverständlichkeit, d.h. Rätselhaftigkeit.“ (4)  

Jonas denkt, dass eine Unverständlichkeit Gottes, d.h. dass der Mensch, nicht in der Lage ist, Gott zu verstehen, zu einer Absurdität führen muss, nämlich Glauben „funktioniert“ nur mit der Selbstaufgabe der Vernunft. Jonas hält das für unvereinbar mit der jüdischen Tradition, die aber lehrt, dass Gott sich geschichtlich offenbart, also für die Menschen irgendwie verständlich ist.              
 

Literatur

(1): Kant, "Kritik der reinen Vernunft"
(2): Kant, "Kritik der reinen Vernunft" B, XXIXF, Werke II, S. 33
(3): Hans Jonas, "Gottesbegriff", S. 33ff.
(4): ebd.

Eine Stellungnahme zur Leibniz' These der "besten aller möglichen Welten".


Die Leibniz’ Theorie der besten Welt ist von Form her eine elegante Theorie. Damit scheint der Rationalist Leibniz auf einen „Bedarf“ seiner Zeit (Neuzeit) zu antworten, nämlich darauf, dass die neuzeitliche mechanistische Weltsicht, alle Bereiche des Lebens durchdringt, auch den der Moral und Politik, was schon damals als bedrohlich erkannt wurde. Leibniz’Anliegen scheint, dieser blinden und dem Zufall unterliegenden Naturmacht eine vernünftige Konzeption entgegenzusetzen, die sich auf einer vernünftigen und absolut guten Macht (Gott) basiert, die wiederum eine vernünftige und verantwortliche Menschenfreiheit begründet.

Werfen wir zuerst einen schnellen Blick auf die Leibniz’ These, bevor wir eine Stellung hierzu nehmen. In seinem Werk „Theodizee“ entwirft Leibniz seine „Rechtfertigung Gottes“ (lat. Theodizee) als Antwort bzw. Rechtfertigung des Bösen in der vom Allgerechten (Gott) geschaffenen Welt. Hervorzuheben ist, dass Leibniz in seiner These von Gott ausgeht als dem vollkommensten Wesen schlechthin. Er differenziert und definiert drei Formen des Übels in der Welt, worauf er seine Theorie baut.

Das metaphysische Übel stellt für ihn die Tatsache dar, dass die Seienden (Welt) prinzipiell endlich bzw. unvollkommen sind und das liegt darin begründet, dass die Schöpfung notwendig nicht Gott gleichen kann, sonst gäbe es zwei absolut vollkommene Wesen, was offensichtlich ein Widerspruch ist.

Das physische Übel resultiert notwendigerweise aus dem ersten und entspricht Aspekten der endlichen (unvollkommenen) Schöpfung wie etwa Tod, Krankheit, Leid und natürlichen Katastrophen.

Das moralische Übel ergibt sich aus freien menschlichen Handlungen (z. B. Krieg, Genozid, Mord, usw.) und das begründet Leibniz damit, dass die Freiheit des Menschen (für Gott) ein größeres Gut ist als dieses daraus herstammendes moralisches Böse. Und da Gott (als vollkommenstes Wesen) alle Weltkonstellationen abwägen und nur das Gute für uns erschaffen kann, muss diese Welt die beste aller möglichen Welten sein.

Wie einleitend gesagt ist, entwarf Leibniz seine Theorie unter den historischen Bedingungen seiner Zeit (Frühneuzeit). Dass er voraussetzt, dass es Gott gibt und auch das vollkommenste Wesen ist, stellte anscheinend kein großes Problem dar, zumindest nicht für die Mehrheit der Intellektuellen damals. Problematisch bei einer Voraussetzung der absoluten Vollkommenheit Gottes (von seiner Existenz abgesehen) scheint mir die Schöpfung (von irgendetwas auch immer) unbegründet zu sein, denn „Vollkommenheit“ kann gar nicht „motiviert“ sein, überhaupt etwas zu „tun“, geschweige die Erschaffung einer Welt voll Elend und Leid. Das „vollkommenste Wesen“ muss sich selbst „genug“ sein, auch angesichts der „Güte“, um „noch mehr gut“ (besser) zu sein und eine Welt schöpft, wenn sie auch die beste sei. Darüber hinaus scheint uns - aus den schrecklichen Erfahrungen, die mal auf menschliche Handlungen, mal auf natürliche Ereignisse zurückzuführen sind - so eine „schöne“ Theorie völlig verblasst und unserer Zeit nicht mehr adäquat ist. Denken wir nur an die Weltkriege, Genozide, Massenvernichtungswaffen, Erdbeben, Tsunamis, die wir kennen, um sich klar zu machen, dass diese Welt eher „satanisch“ als „göttlich“ anzusehen ist und dass diese These zu abstrakt, um nur annähernd unseren konkreten Problemen zu begegnen. Aber so eine Theorie könnte manche vielleicht (über ihr Schicksal) etwas trösten oder gar motivieren, aus ihrer „göttlichen“ Freiheit das Beste zu machen und die „Schöpfung“ selbst aktiv zu verbessern. Das war anscheinend u.a. auch die Absicht von Leibniz. Anderseits, ist damit zu rechnen, dass ein lieber Gott doch alles gut geplant hat, könnte zu einem Art Fatalismus führen, statt auf sich selbst (als Gattung Mensch) zu verlassen und versucht der Vollverantwortung seiner Welt gerecht zu werden, auch im Hinblick auf die Entwicklung von neuen Ideen und Theorien, Human- wie Naturwissenschaftlich, die auf die verschiedenen Herausforderungen unserer Existenz antworten.            

Kierkegaard meint, der Glaube sei keine Lehre, sondern eine Existenzmitteilung. Erläuterung dieser Aussage.


Um zu verstehen, was Kierkegaard mit dieser Aussage uns vermitteln will, müssen wir zuerst die zwei Schlüsselbegriffe darin beleuchten, nämlich „Glaube“ und „Existenz“. Die Existenzphilosophie des Kierkegaard ist im Grunde genommen eine Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben. Die „Existenz“ eines Menschen meint etwa die „Wahrheit“ seines Lebens, also etwa die Antwort auf die Frage, was und wozu ist sein Leben (überhaupt da). Kierkegaard stellt zuerst fest, dass keiner in der Lage ist, diese Antwort zu geben. Dafür aber ist offensichtlich, dass die menschliche Existenz durch Widersprüchlichkeit und Zerbrechen an Konflikten zwischen Freiheit und Notwendigkeit, Leib und Geist usw. gekennzeichnet ist. Aus dieser menschlichen Situation ergibt sich „Angst“, die nach Kierkegaard nur im Glauben zu überwinden ist und somit sind wir beim zweiten Begriff. Es geht nicht darum, das Wort „Glaube“ zu erklären, sondern eher um die Frage, an was oder wen soll man glauben? Die christliche Religion meint an „Gott“, also an eine dem Menschen unbegreifliche Übermacht und hier liegt das nächste Problem von Kierkegaard, nämlich die Unbegreiflichkeit Gottes. Um den Kerngedanken von Kierkegaard problematisch darzustellen, können wir sagen: Der Mensch muss einerseits eine von Grund auf vollwidersprüchliche Existenz führen, die er nicht versteht und daher ihm Angst macht, aber anderseits versucht er auf paradoxe Weise, dieses Problem durch den Glauben an einen ihm unbegreiflichen Gott zu lösen. Wie geht nun Kierkegaard vor, um diese Problematik zu beleuchten? Er geht eigentlich keinen direkten Weg, sondern viele Umwege, um auf das Verhältnis Existenz/Glaube aus verschiedenen Perspektiven „aufmerksam zu machen“. Der Begriff der „Leidenschaft“ spielt eine Zentralrolle in seiner Philosophie, denn erst damit kommt ein Lebenseinsatz zum Tragen und wird somit zwischen dem konkreten Existieren bzw. der Wirklichkeit und dem bloßen Denken unterschieden. Für ihn ist die Leidenschaft vielmehr ein Grundvollzug des Geistes selbst, insofern er an sich Interesse hat, nicht aber ein Affekt, der ihm gegenübersteht. Und nur die Leidenschaft führt zu Entscheidungen und einzig durch diese kann sich wiederum eine selbständige Subjektivität entwickeln. Die „Innerlichkeit“der Leidenschaft führt in den Existenzkern, nicht aber die Äußerlichkeiten des Lebens oder des Denkens. All das charakterisiert zugleich den christlichen Glauben:

Das Christentum ist Geist, Geit ist Innerlichkeit, Innerlichkeit ist Subjektivität, Subjektivität ist wesentlich Leidenschaft, und im Maximum unendliche, persönlich interessierte Leidenschaft für ihre ewige Seligkeit. Sobald man die Subjektivität fortnimmt, und von der Subjektivität die Leidenschaft, und von der Leidenschaft das unendliche Interesse, so gibt es gar keine Entscheidung.“  (1)

Kierkegaard hält den Glauben für widersinnig, aber gerade an diesem Paradox reibt sich der Verstand und weckt seine Leidenschaft, aus der das Denken sich auf die ihm Unbekannte „Gott“ einlässt, es sucht, auch wenn es dabei untergeht. Es geht Kierkegaard hier um eine Leidenschaft des Denkens, die sich von einem bloßabstrakten Wissen unterscheidet. Die Existenzwirklichkeit ist zwar vernünftig nicht zu begreifen, und die Wirklichkeit Gottes noch weniger, aber aus Leidenschaft will das Denken bis zu dieser Grenze gehen.

Doch soll man vom Paradox nichts Übles denken; denn das Paradox ist des Gedankens Leidenschaft [...] Aber die höchste Potenz jeder Leidenschaft ist es stets, ihren eigenen Untergang zu wollen, und so ist es auch des Verstandes höchste Leidenschaft, den Anstoß zu wollen, ganz gleich daß er Anstoß auf die eine oder andere Weise sein Untergang werden muß. Das ist denn des Denkens höchstes Paradox: etwas entdecken wollen, das es selbst nicht selbst denken kann. [...] Aber was ist denn dies Unbekannte, an dem der Verstand in seiner paradoxen Leidenschaft sich stößt, und das dem Menschen sogar seine Selbsterkenntnis stört? Es ist das Unbekannte. Aber es ist ja nicht irgendein Mensch, soweit er diesen kennt, oder irgendein anderes Ding, das er kennt. So laßt uns denn dies Unbekannte den Gott nennen.“ (2)   

Der Glaube nach Kierkegaard ist eine Existenzweise und keine Lehre im Sinnen von einem System von Inhalten und Vorstellungen, die man systematisch erlernen kann. Der Verstand verzichtet darauf, die Wahrheit der Existenz zu finden und nimmt dafür den Glauben an Gott, auch wenn dessen Unbegreiflichkeit zu einem Paradox der Innerlichkeit selbst führt. Kierkegaard zieht eine Parallele zwischen dieser Zuspitzung des Religionswidersinns und der christlichen Vorstellung von der Menschwerdung Gottes.   
 

Literatur

(1): Kierkegaard, "Abschließendeunwissenschaftliche Nachschrift ..."I, S. 28f.
(2): Kierkegaard, "Philosophische Brocken" S.35, S.37

Eine Beurteilung der Versuche, die Existenz Gottes zu "beweisen".


Mit Gottesbeweis drückt die Religionsphilosophie den Versuch aus, die Existenz Gottes (hier v.a. eines Schöpfergottes nach abrahamitischem Glauben) rational zu beweisen. Es geht hier um mittelalterliche und frühneuzeitliche Gottesbeweise, die sich methodisch in zwei Arten aufteilen lassen, nämlich apriorische und aposteriorische. Ohne Bezug auf die Erfahrung (a priori) und allein aus der Begriffsanalyse versucht z. B. Anselm von Canterbury in seinem sog. "ontologischen Gottesbeweis", die Existenz Gottes zu verdeutlichen. Im Gegenteil dazu geht Thomas von Aquin von der Erfahrungswelt (a posteriori) aus und bemüht sich anhand seiner berühmten fünf Wege, dass der Schöpfergott existiert.

Später fasst Kant diese Gottesbeweise zusammen, indem er sie in drei Formen aufteilt: ontologische, kosmologische und naturtheologische. Der ontologische Gottesbeweis leitet einzig aus dem Gottesbegriff als dem vollkommensten Wesenseine Existenz ab, denn das Sein ist zwangsläufig Bestandteil der Vollkommenheit und daher die Notwendigkeit der Gottesexistenz.

Die kosmologische Beweisform bezieht sich auf das Faktum, dass es irgendeinen kontingenten (zufälligen, nicht-notwendigen) endlichen Gegenstand (oder das Universum) gibt, um daraus abzuleiten, dass Gott existiert. Anders gesagt, aus der Frage: "Warum gibt es überhaupt Etwas und nicht einfach Nichts?" wird auf die Gottesexistenz gefolgert.
Der Naturtheologische Beweis nach Kant nimmt seinen Ansatz bei den Sinneserfahrungen, beachtet die kausalen Naturgesetzmäßigkeiten und versucht Gott als Anfangsgrund diese Kausalkette zu demonstrieren.

Philosophiegeschichtlich gesehen, war Kant der erste, der die Möglichkeiten einer philosophischen Theologie und damit alle „rein rationale“ Gottesbeweise gründlich kritisiert hat, indem er in seinem Werk „Kritik der reinen Vernunft“, die Grenzen einer Vernunfterkenntnis gezogen hat. Er beschränkt das Wissen auf die empirische Welt ein und hält den Versuch einzig durch Begriffsanalyse zu argumentieren für spekulativ und daher zu keiner sicheren Erkenntnis führend. Hervorzuheben ist sein logischer Einwand gegen die ontologische Beweisform. Kant bezeichnet ein Argument (für einen Gegenstand) als „tautologisch“, wenn dieses Argument in der Definition dieses Gegenstands (explizit oder implizit) enthalten ist. Anders gesagt, wenn ein Beweismittel in einer Voraussetzung „steckt“ und trotzdem weiterbenutzt, um diese Voraussetzung zu bestätigen, dann geht es hier um einen logischen Zirkel (bzw. Zirkelschluss), der letztendlich nichts beweist. Man kann nicht davon ausgehen, dass Gott dem vollkommensten Wesen entspricht (als Definition Gottes) und doch daraus auf die Existenz Gottes schließt, indem man sagt, das Sein gehört notwendigerweise zur Vollkommenheit, wie es z. B. Anselm v. Canterbury macht.

Mit diesen Gottesbeweisen versuchte v.a. die Scholastik „eine Brücke“ zwischen Glauben und Vernunft zu „bauen“ und somit dem Glauben einen rationalen Grund zu finden. Es war Kant, der deutlich zwischen Glauben und Wissen systematisch und argumentativ trennte: “Ich kann also Gott, Freiheit und Unsterblichkeit zum Behuf des notwendigen praktischen Gebrauchs meiner Vernunft nicht einmal annehmen, wenn ich nicht der spekulativen Vernunft zugleich ihre Anmaßung überschwenglicher Einsichten benehme […] Ich mußte also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu machen. “ (1) 

Wir können nochmals die Gottesbeweise, die sich auf die empirische Welt beziehen (v.a. Versuche des Thomas von Aquin) in drei Formenzusammenfassen:

Der kausale Ansatz:
Das Universum muss zeitlich irgendwann mal angefangen haben. Die Zeit selbst muss bei einem Punkt ausgelöst sein, was einem Erstauslöser benötigt, der selbst keinen Anfang braucht und daher unendlich und zeitübergreifend ist. Und den nennen wir Gott.

Ansatz der ersten Bewegung:
Wir erleben die Natur (uns eingeschlossen) als ständig in Veränderung. Jede Änderung wird durch eine Ursache ausgelöst, so dass die Welt als eine Aktion-Reaktionskette erscheint, d. h. eine Ursache führt zu einer Wirkung, die wiederum als Ursache einer nächsten Wirkung wird und so fort. Da wir kein "regressus ad infinitum" denken können, muss irgendwo und irgendwann die allererste Veränderung stattgefunden haben, die diese Kette veranlasst, aber selbst keine Ursache nötig hat, also unendlich und in sich am vollkommensten ist. Und diesen Erstverursacher nennen wir Gott.

Ansatz der Kontingenz:
Alle Seienden existieren zufälligerweise, kein Seiendes existiert zwingend notwendig, aber das ganze Universum kann doch nicht aus der Kontingenz entstanden sein, also es muss eine unendliche Kraft geben, die allem seine Existenz ermöglicht hat und dieses notwendig Seiende nennen wir Gott.  
Bei allen diesen (sog. kosmologischen) Ansätzen stellt sich die Frage:
Warum sollte ein unendlicher Gott realistischer sein als ein unendliches Universum? Warum ist eine übernatürliche Ursache notwendig, wo z. B. die Physiker heute dabei sind, den Urknall besser zu verstehen?
D.h. die Wissenschaft könnte in Zukunft diese kosmologischen Beweise widerlegen.

Teleologischer Ansatz:
Hier geht man davon aus, dass alles in der Natur entwickelt sich nach einem Plan bzw. Ziel. Der Mensch selbst verbessert sich ständig nach einem perfektionierten Plan. Dieser ist so gut und perfekt, dass man dahinter einen unendlichen Planer annehmen muss und diesen nennen wir Gott.
Einzuwenden dagegen ist unsere wissenschaftliche Erkenntnisse v.a. aus der Evolutionsbiologie, dass die Natur eher dem Zufall und der natürlichen Selektion unterliegt als einem vorgeplanten Schema einer angeblich allwissenden übernatürlichen Kraft. Darüber hinaus unsere Welt ist weit davon und in keiner Hinsicht perfekt zu sein. Biologisch-technisch gesehen ist der Mensch z. B. eher ein „Wrack“ als ein perfektioniertes biologisches Apparat, das optimal und fehlerfrei gebaut wäre.    
 

Literatur

(1): Kant, "Kritik der reinen Vernunft" B, XXIXF., Werke II, S. 33

Was versteht man unter Deismus?


Das Gottesverständnis der auf Offenbarung basierten Religionen gerät mit der neuzeitlichen Aufklärung in kritische Auseinandersetzungen. Die Neuzeit betont in steigenden Maßen die Geltung und "Bevormundung" der Vernunft in allen Bereichen des Lebens auch in Sachen der Moral und Religion. In seiner Antwortschrift über die berühmte Frage "Was ist Aufklärung?" fordert Kant den Menschen auf, seinen eigenen Verstand einzusetzen und sich nicht von anderen bevormunden zu lassen. Der nächste Schnitt seiner Beantwortung zeigt (in Angesicht der gegenwärtigen fanatischen Ereignisse, der Medienmanipulation, der Politikverdrossenheit, des Konsumwahns, der Umweltproblematik, usw.) wie aktuell diese Aufforderung immer noch ist: "AUFKLÄRUNG ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapereaude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung. [...] Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt usw., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen. [...] Es ist also für jeden einzelnen Menschen schwer, sich aus der ihm beinahe zur Natur gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten. Er hat sie sogar lieb gewonnen und ist vorderhand wirklich unfähig, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, weil man ihn niemals den Versuch davon machen ließ. Satzungen und Formeln, diese mechanischen Werkzeuge eines vernünftigen Gebrauchs oder vielmehr Mißbrauchs seiner Naturgaben, sind die Fußschellen einer immerwährenden Unmündigkeit." (1)    

Dieser Aufklärungsprozess beginnt in der (oder eher gründet die) Neuzeit und hat v.a. als Thema die Herrschaft der Kirche in der Gesellschaft und die Säkularisierung dieser. Es gibt Denker, die das Gottesverständnis offenbarungsbezogener Religion nicht für vernunftgerecht halten, indem sie viele religiöse Bestandteile wie etwa die Wunder für vernunftwidrig ansehen. Ein göttliches Prinzip hinter der Schöpfung muss nach manchen Philosophen nicht unbedingt als Offenbarung verstanden werden, sondern man kann den Glauben an Gott aus Vernunftgründen herleiten. Daher wird hier von Vernunftreligionen gesprochen. Von diesem Vernunftglauben gibt es verschiedene philosophische Vorstellungen, darunter der Deismus. Ein Deist glaubt, dass Gott zwar das Universum ursprünglich geschaffen hat, aber dann nicht mehr darin eingreift oder das Geschehen in unserer Welt beeinflusst. Im Gegenteil dazu hält der Theismus Gott jederzeit für das mögliche Kausalprinzip aller Geschehnisse in der Welt. Hierzu Diderot: "Der Deist ... glaubt an Gott leugnet aber jede Offenbarung; der Theist hingegen nimmt bereitwillig die Offenbarung an und gibt die Existenz Gottes zu." (2)

Der Deismus geht von einer Volltrennung zwischen Gott und Welt aus, d. h. die Welt "läuft" völlig unabhängig von Gottes Eingreifen weiter ab, hingegen postuliert der Pantheismus die Einheit von Gott und Welt, d. h. alles was ist oder geschieht ist letztendlich "göttlich" oder Ausdruck "göttlichen" Willens, also Gott und Sein sind eins. Ein Deist ist somit ein Religionsphilosoph, der das Göttliche vernünftig zu begründen versucht, ohne dafür eine Offenbarung oder Glaubensaussagen einer bestimmten Religion anzunehmen. Der Deismus postuliert, dass Gott als abstraktes Wesen eine Ursache der Weltschöpfung darstellt, jedoch akzeptiert er die Idee nicht, dass Gott das konkrete Handeln in der Welt in irgendeine Weise lenkt. Ein Deist versucht eigentlich seine Vernunftreligion mit dem modernen wissenschaftlichen Weltbild zu vereinbaren, indem er Gott als transzendierte Ursache der Welt annimmt, die aber im Nachhinein - seiner Ansicht nach - selbständig und einzig nach eigenen Gesetzmäßigkeiten (im Vorbild eines Uhrwerks) funktioniert. Weiterhin erkennt ein Deist der Religion vorwiegend eine legitimierende Funktion von sittlichen und gesellschaftlichen Ordnungen an.

"Die Tendenz der Deisten pflegt dahin zu gehen, den Vorgang der natürlichen Religion zu behaupten und für die natürliche Vernunft die Fähigkeit zur Erfüllung der sittlichen Gebote des Urhebers der Natur und damit zur Erlangung des göttlichen Wohlgefallens in Anspruch zu nehmen. Die Offenbarung gilt ihnen teils als hilfreich und teils als schlicht entbehrlich. Ihre Beglaubigung durch Wunderberichte verdient kein Vertrauen: entweder lassen sich scheinbar natürliche Vorkommnisse natürlich erklären, oder die Berichterstatter täuschen uns - sofern sie sich selber nicht täuschen." (3)             

Literatur

(1): Immanuel Kant, "Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?"
in: "Berlinische Monatsschrift", Dezember-Heft 1784, S. 481-494.
(2): zit. n.: Artikel "Diderot", in: Weger (1979), S. 68
(3): R. Specht, in: GPTD V, S. 342

Friedrich Schleiermachers Definition der Religion angesichts der Kontingenz des Lebens.


Man spricht allgemein von "Kontingenz", wenn es darum geht, das Zufällige, das Undefinierbare, das Fatale oder das Unkontrollierbare in unserem Leben zu beschreiben. Erfahrungen (wie z. B. Krankheiten, Unfälle, Kriege, Tod, usw.) die uns an unsere Vermögensgrenzen stoßen lassen, die uns manchmal schlagartig ins Bewusstsein darüber versetzen, wie machtlos, endlich, anfällig oder vergänglich wir sind, werden als "Kontingenzerfahrungen" bezeichnet.

Zur Überwindung dieser Kontingenzerfahrungen kennt der Mensch verschiedene Lebenspraxen, darunter stellen die Religionen einen wesentlichen Teil dar. Indem sie das "Kontingente" als Kehrseite einer übermächtigen "Kraft" ansehen, versuchen sie diese weiterhin sehr unterschiedlich zu deuten, etwa als Naturgeist bzw. geistige Übermacht, als höchste Vernunft oder sogar als personalen Gott. Die meisten Religionen bieten ein lebenspraktisches Orientierungssystem, das aus Riten, Normen, Symbolen usw. besteht, durch die der Mensch sich sozial und kosmisch geborgen fühlen kann. Diese Ordnung und die "Macht" dahinter sind der menschlichen Herrschaft laut dieser Religionen schließlich entzogen.    

In diesem Kontext (des Herrschaftsentzugs) gekennzeichnet Schleiermacher die Religion durch ein Gefühl der "schlechthinnigen Abhängigkeit" (1). Diese scharfe Beschreibung der Abhängigkeit als schlechthinnig drückt für ihn die Tatsache aus, dass wir sie nicht aus unserer Freiheit überwinden können, denn sie steht unserer Freiheitserfahrung entgegen einerseits, aber anderseits können wir sie bloß auf Grund der Freiheitserfahrung fühlen. Da Schleiermacher die Religion nicht als Glaubensinhalte versteht, die begrifflich gefasst werden können, spricht er von einem "Gefühl". Er sieht sie eher als eine Sonderart, die das Ganze des Universums in lebendiger Anschauung zu erfassen versucht. Die Religion ist für ihn ein emotionaler Zugang zur Ganzheit des unendlichen Universums, mit einem Wort, sie ist: "Sinn und Geschmack fürs Unendliche" (2).     

 

Literatur

(1): Der christliche Glaube, §4

(2): Über die Religion, S. 53