03.09.2011

Notwendigkeit einer philosophischen Vernunftkritik

Man übt Kritik mit dem, was uns problematisch erscheint, etwa mit einer Theorie, einem Begriff oder einer Philosophie, die einen Mangel, Schwäche oder gar Gefahr verbergen. Wenn die Kritik Untersuchen, Analysieren, Vergleichen, Überprüfen und Beurteilen bedeutet, dann ist eine Kritik der Vernunft selbst am schwierigsten. Denn die Behandlung dieser Frage ist ihrem Charakter nach ein Denken übers Denken. Unter Einsatz der Vernunft soll die Vernunft an sich selbst Kritik üben und scheint paradox zu sein.
Zuerst wie ist der Begriff „Notwendigkeit“ in unser Frage zu verstehen? Soll die Vernunft sich genötigt sehen, sich selbst zu kritisieren?
Eine philosophische Vernunftkritik ist angesichts der Philosophie als Prinzipien- wissenschaft nicht anders als die Erforschung der Gründe bzw. Ursachen, die eine Vernunftkritik legitimieren, wenn nicht notwendig machen. Was können dann solche Gründe sein?
Nach dem die Vernunft seine erfolgreichste „Karriere“ in der Aufklärungszeit erlebte, wurde dann nach und nach für die Menschheit problematisch.
Ein Überblick über die sog. unakademische Denker zeigt uns, welche Einwende können gegen eine Herrschaft der Vernunft bzw. idealisierte Vernunftsysteme erhoben werden. Schopenhauer beispielsweise sieht den Menschen als ein Lebewesen, der nicht durch Vernunft geführt sei, sondern durch einen dunklen triebhaften und tiefsitzenden Wille. Er sieht ihn in einer Linie mit aller Dinge dieser Welt (seiner Welt als Wille und Vorstellung), die ihre Bewegung diesem triebhaften Willen verdankt. Sein Satz „Wie die Hand zum Greifen, ist der Geist zum Begreifen da“ verdeutlicht, dass alles in diesem tiefsitzenden Willen begründet liege und dadurch gar zum Leben gerufen sei.
Soren Kierkegaard setzt der idealistischen Vernunft die konkrete Existenz einzelner Menschen entgegen. Sie kann nicht in allgemeinen Kategorien verstanden und in kein philosophisches System gepresst werden.
Friedrich Nietzsche, um nur diese Beispiele zu nennen, stellt gegen die Vernunft das Leben, das in seiner Vielfältigkeit, ja Widersprüchlichkeit jedem Gedenken einer absoluten Wahrheit entgegenstehe.
Vernunftkritik ist eigentlich Kritik der Herrschaft der Vernunft auf die Dinge. Das heißt Kritik der Vernunft, wenn sie den Anspruch erhebt die letzte Instanz sein zu wollen, die das letzte Wort hat, wenn es darum geht, die Menschen und Dinge in deren Gesamtdimensionen zu erfassen und somit zu beurteilen. Also ein totalitäres System schaffen, in dem alle und alles reinpassen sollen. Dieser ungeheure Anspruch ist nicht nur undurchführbar, sondern auch gefährlich und endet wegen seiner enthaltenden Widersprüchlichkeit und Einseitigkeit zwangsläufig beim Absurden und früh oder später sogar beim katastrophalen Zusammenbruch. Die Geschichte hält jede Menge Beweise dafür zur Auswahl parat.
Wenn Heidegger von „Seinsvergessenheit“ spricht, meint gerade das, unter Einsatz der Vernunft konnte die Menschheit vieles erreichen, nämlich im praktischen Sinne, sprich die technisch-wissenschaftliche Entwicklung und damit andere wichtige Dimensionen aller Seienden in Vergessenheit geraten ließ. Die Vernunft wurde seit seiner goldenen Zeit, nämlich der Aufklärung immer mehr Instrumentalisiert und rein pragmatisch eingesetzt, um eine Welt der  wissenschaftlich-technischen Erzeugnissen zu schaffen, eine Welt als Haus der Waren, die massenhaft herumliegen, ohne dazwischen erkennbare Beziehung oder Sinn. Eben diese wissenschaftlich-technisch-orientierte Vernunft muss unter die philosophische Lupe genommen werden, damit aus der Warenwelt ein bewohnbares Haus für die Menschen entstehen kann.

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