24.02.2014

Drei Beispiele anthropologischer Schichtenmodelle


A) Platon

Von der Antike bis heute ist die Charakterisierung aller Dimensionen des Menschseins problematisch; eine Tatsache, die sich in dem Entwicklungsversuch von verschiedenen Schichtenmodellen widerspiegelt.

Das erste Schichtenmodell, das bis heute noch anhaltente Einflüsse ausübt, stammt von Platon. Basierend auf der alten Idee der Seelenwanderung, postuliert er die Unsterblichkeit der Seele, die sich nach ihm an die unwandelbare Welt der Ideen (Ideenwelt) erinnert und in der wandelbaren Erscheinungswelt lebt und gefangen bleibt bis der Tod des Körpers sie davon auslöst bzw. befreit. Platons berühmte Allegorie von dem Wagen, der durch zwei widerstrebende Pferde gezogen und einen Wagenlenker geleitet ist, deutet jeweilig auf die drei Seelenschichten bei dem Menschen hin, nämlich Begierde, Mut und Vernunft, wobei Platon der letzten ein Herrschaftsverhältnis zu den anderen zuspricht und damit ihr die Aufgabe zuordnet, das Gleichgewicht zwischen den widerstreitenden Kräften herzustellen. Er hat weiterhin seine Staatstheorie auf diesem Schichtenmodell konstruiert, indem er die Bürger in drei Schichten aufteilt. Die untere Schicht besteht aus denjenigen (Bauern, Handwerkern, …usw.), die für die Gesellschaft alles produzieren, was sie braucht. Die Zwischenschicht bildet die Wächter, denen die Aufgabe der Verteidigung und Aufrechterhaltung der Ordnung obliegt. Und letztens die obere Schicht der Philosophen kümmert sich um die Politik und die Gesetzgebung. Diese platonische Utopie kann dem Spannungsverhältnis zwischen den verschieden Dimensionen des Menschseins nicht gerecht sein, wie noch viele andere Schichtenmodelle zeigen. Man wirft Platon vor u.a., dass er der erste Theoretiker eines totalitären politischen Systems war, so Karl Popper. Platon hat darüber hinaus die Theologie im Christentum und dann später im Islam beeinflusst, und diese wiederum sind mit vielen unmenschlichen Taten gebunden wie etwa der mittelalterlichen Inquisition oder den Kriegen unter Religionsflaggen von früher und heute.

Dass Platon auch die legendären und lehrreichen Dialoge von Sokrates so eloquent und fesselnd für die Menschheit verewigt hat, zählt jedenfalls für ihn. Andere denken sogar, dass die ganze abendländische Philosophie nur Glossen am Rande Platons Philosophie.

B) Descartes

Die neuzeitliche Aufklärung bringt u.a. Descartes auf den Plan, der mit seinem dualistischen Schichtenmodell bis in die Gegenwart auswirkt. Die Wirklichkeit des Menschseins nach ihm lässt sich in zwei Entitäten aufteilen, nämlich eine materielle (ausgedehnte Substanz bzw. res extensa) und eine immaterielle (denkfähige Substanz bzw. res cogitans), was anthropologisch gesprochen nichts anders bedeutet als den Körper und den Geist. Wie üblich stellt sich die Frage der Wechselwirkung bei einem Dualismus, der einen Parallelismus (strenge Separation) zwischen Körper und Geist voraussetzt, nämlich wie wirkt der Geist auf die Körperwelt aus und umgekehrt. Der neuzeitliche Mechanismus geht davon aus, dass jede Köperbewegung nur durch eine physikalische Ursache, also durch einen anderen Körperanstoß betätigt sein kann. Daher wird eine Interaktion zwischen Geist (als nicht-materieller Entität) und menschlichem Körper schwer denkbar. Der Okkasionalismus etwa nimmt Gott als Vermittler zwischen den beiden an, was heute kaum noch vertreten wird. Im Vorbild der Neuzeit führt die dualistische Unterscheidung von Descartes u.a. zur Betrachtung des menschlichen Körpers als eine Maschine, was wiederum seine mechanistische Analyse ermöglicht und der Medizin einen befreienden Schwung gegen alle mittelalterlichen Tabuisierungen (wie etwa Sezessionsverbot des Leichnams) verschafft.

Eine weitere wissenschaftlich sehr interessante Entwicklung heute, die sich auch von der neuzeitlichen Maschinenmetaphorik inspiriert, besteht in den neurophysiologischen Forschungen und insbesondere welcher, die sich speziell mit der sog. künstlichen Intelligenz beschäftigt. Die Gehirnwissenschaftler leihen bei der Informatik die Terminologien von „Hardware“ und „Software“ aus, um die jeweiligen ähnlichen Funktionen von Gehirn und Bewusstsein darzustellen. Wenn die Programmierung von Hardware durch Software erfolgt, kann man in ähnlicher Weise von Körperprogrammierung durch den Geist sprechen? Die Beantwortung dieser Frage ist noch umstritten, öffnet jedoch die Perspektive zu weiteren Forschungen, die eine Bestimmung der Geistwirklichkeit immer näher kommen. Ob Geistzustände nicht mehr als neurophysiologische Zustände sind oder doch unterliegen geistige Funktionen eigenen Gesetzlichkeiten ist eine spannende Sache, die Gehirnforschungen und deren Ergebnissen heute große Bedeutung verleiht.

C) Sigmund Freud     

Nachdem wir zwei Schichtenmodelle gesehen haben, jeweils aus der Antike und der Neuzeit, widmen wir uns jetzt an einem dritten Beispiel aus der modernen Zeit, nämlich dem Schichtenmodell von Freud. Der Vater der Psychoanalyse entwirft ein dreiteiliges Schichtenmodell, um das menschliche „psychologische Apparat“ zu beschreiben. Er unterscheidet zwischen dem bewussten Leben und reserviert dafür den Begriff "Ich" und dem unbewussten Triebleben - das übrigens nach ihm den größten Einfluss auf den Menschen ausübt - und bezeichnet dies mit dem Begriff "Es". Es handelt sich hierzu um alle Triebe, Bedürfnisse und Affekte, die den Menschen unwillentlich zum Handeln bewegen, wie etwa Hunger, Sexualtrieb, Angst, Hass, Liebe, Neid, Verdrängtes usw. Und schließlich kommt die oberste Stufe, die aus verinnerlichten Moralwerten, Weltbildern und Erziehungskonditionierungen besteht und von Freud als "Über-Ich" konzipiert ist. Diese Stufe übernimmt nach ihm eine Überwachungsrolle, wie wir uns verhalten und kann als die „innere Stimme“ bzw. „innerer Beobachter“ verstanden werden, der uns stets begleitet und unser Handeln nach moralischen Vorstellungen beurteilt, wobei Handeln hier im weitesten Sinne zu verstehen ist, nämlich als Tun oder Lassen, Sprechen oder Schweigen. In diesem Stufenmodell ist das „Ich“ eine Mittelschicht zwischen der breitesten und einflussreichen Schicht „Es“ und der obersten Schicht „Über-Ich“. Und das bedeutet, wenn es darum geht, absichtlich und vernünftig zu handeln, d. h. Handlungsmöglichkeiten logisch, rational, selbstkritisch und nach bisherigen Erfahrungen abzuwägen, dann ist das „Ich“ am Werk.

Das Verhalten ist nach Freud durch den unbewussten Konflikt zwischen den impulsiven Trieben des Unbewussten („Es“) und den strengen Moralvorstellungen der höchsten Instanz („Über-Ich“) motiviert. Das Schichtenmodell von Freud sieht - bildlich gesprochen - wie ein Bauwerk mit drei Stocken aus, wobei der erste und größte Stock („Es“) einen dunklen („unkontrollierten“) Keller darstellt und das ganze Gebäude trägt, der zweite Stock („Ich“) steht für die rationale Verwaltung und Sachbearbeitung und in dem höchsten Stock („Über-Ich“) sitzt die moralische Autorität, die alles überwachen und orientieren versucht.    

Freud ist gleichermaßen vergöttert und scharf kritisiert. Er wurde von vielen als großer Pionier und Mitbegründer der Psychoanalyse und auf der gleichen Linie gesetzt wie etwa Kopernikus in der Astronomie oder Darwin in der Biologie, denn die drei haben den Menschen aus seiner „Heimat“ vertrieben: der erste hat ihm den Boden unter Füße „entzogen“ und „entblößt“ ihn als nichts mehr als einen kleinen mitrasenden „Punkt“ auf einem kleinen Planeten namens Erde am Rande einer Riesengalaxie unter vielen. Der zweite nahm ihm seine stolze vermeinte göttliche Herkunft und warf ihn zurück zur Mutternatur als nicht mehr als einen „Nachwuchs“ eines nicht besonders „schönen“ Tiers, nämlich des Schimpansen. Und als das nicht genug war, kam Freund hinzu und raubte dem Menschen den letzten Versteck, nämlich sich selbst, indem er zeigte, das der Mensch nicht mal Herr „Zuhause“, also in sich selbst, sondern eher selber durch ein dunkles unbewusstes „Steuergerät“, das sog. „Es“ bzw. das Unbewusste zum höchsten Teil beherrscht ist.

Zugleich wird Freund von vielen kritisiert. Sein Freund Carl Gustav Jung z. B. hält seine Denkweise für unflexibel und meint, wenn Freud einen Gedanken mal formuliert hat, will er den nicht mehr infrage stellen und Jung sieht dies darin begründet, dass sein Freund nicht in Philosophie ausgebildet ist, wobei er selbst an Kants Denken geschult ist und kann immer wieder alles im Zweifel zeihen (1).
Gille Deleuze kritisiert bei Freud die Tatsache, dass der letzte und alle Psychoanalytiker auch das „Unbewusste“ stets für ein Theater halten, wo die gleichen Stücke ewig gespielt werden (z. B. über Ödipus-Komplex), hingegen hält Deleuze das „Unbewusste“ eher für eine Art „Fabrik“, wo ständig Neues produziert wird. Deleuze und Félix Guattari sind allgemein gegen die Konzeption der Freud’schen Psychoanalyse und bieten stattdessen ein neues Konzept des „Unbewussten“, basiert auf drei Eckpfeilern: Den Mannigfaltigkeiten des Unbewussten, dem Delirium als Welt- und nicht als Familiendelirium (nach ihm deliriert man nicht z. B. über Vater, Mutter, Kindheit oder Privatangelegenheiten allgemein, sondern über etwas Universelles, Kosmisches, beispielsweise über das Ende der Welt, über seinen Stamm, über Traditionen, usw.) und letztens der Betrachtung des „Unbewussten“ als Maschine oder Produktionsfabrik und nicht als „Theater“. Dieses Thema wird hier nicht näher eingegangen (2). Ein Dritter (Michel Onfray) wirft (sehr polemisch) Freud Manipulation, Fälschungen von wissenschaftlichen Arbeiten sowie Fabulieren von Heilungsgeschichten vor und dass er darüber hinaus nur reiche Patienten analysieren wollte, weil er von denen unverhältnismäßig viel Geld verlangen konnte (3).

 
Literatur
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(1): Sigmund Freud - Die Erfindung der Psychoanalyse (TV Arte, Doku. 1997)
(2): Anti-Ödipus, Gille Deleuze, Félix Guattari. Auch Abécédaires Deleuze (DVD)
(3): Le crépuscule d’une idole. Michel Onfray

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