13.09.2015

Die Rede vom Menschen zwischen den Religionskritikern Feuerbach, Marx und Nietzsche. Ein Vergleich.


Kant hat seine Auffassung der"Aufklärung"insbesondere damit definiert, dass der Mensch sich auf seinen Verstand verlassen muss: „Sapereaude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“ (1)

Weiterhin hat er in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ eine klare Linie zwischen Metaphysik- (inkl. Glauben-) und Wissensfragen gezogen. Nun ist der Mensch - meiner Ansicht nach - auf sich selbst zurückgeworfen, nach dem er v.a. während des Mittelalters sich mehr auf die "Offenbarungsreligionen" (also Gott) zählte. Die großen Religionskritiker Feuerbach, Marx und Nietzsche, die nach Kant kamen, trieben seine Aufklärung in Sachen Religion zum Äußersten. Feuerbach geht von dem wesentlichen Unterschied zwischen Tier und Mensch aus, nämlich, dass nur dieser ein Bewusstsein vom Unendlichen hat, um sein Religionsverständnis darzustellen. Er sieht in dieses menschliche Bewusstsein nicht nur den Grund der Religion, sondern auch seinen Gegenstand. Feuerbachs Ziel ist die Überführung alles Religiösen ins Anthropologische, d.h. die Religion letztendlich als eine authentische Dimension des Menschlichen zu „entblößen", also als reine Produktion des menschlichen Bewusstseins, die nachträglich auf ein göttliches Wesen projiziert wird. Aber in dieser äußerlichen Projektion sieht er das Problem, dass sich der Mensch dadurch entfremdet. Die Sehnsüchte und Wünsche beim Menschen sind der Beweis dafür, dass er in der Lage ist, über sein sinnliches Wesen, seine Naturbedingtheit hinauszustreben. „Man kann nicht lieben, nicht wollen, nicht denken, ohne diese Tätigkeiten als Vollkommenheiten zu empfinden.“ (2)

Für Feuerbach ist die Religionswahrheit nicht anders als der Mensch selbst, d.h. der Ausdruck seines unendlichen Wesens, wobei deren Unwahrheit hingegen darin liegt, dass er sein Selbstbewusstsein durch Projektion auf ein unendliches Wesen verstellt.

Marx trat auf der geschichtlichen Szene als der Philosoph, der die Welt verändern will, statt sie nur zu interpretieren, wie - seiner Ansicht nach - die Vorgänger taten. Der junge Marx entwickelt seine Religionskritik in Auseinandersetzung mit Feuerbach. Wenn dieser die Religion lediglich als Schein des menschlichen Bewusstseins (als die Wahrheit des Menschseins schlechthin) zu entlarven versucht, geht Marx noch tiefer und hält das Bewusstsein selbst als Produkt des materialistisch-ökonomischen Bedingungen, in denen die Menschen leben. Er wirft Feuerbach vor, sich in philosophisches Theoriegebäude gefangen geblieben zu sein und das konkrete Leben der Menschen nicht beachtet und daher keine Gesellschaftsveränderung eingeleitet zu haben. Zwar sieht Marx auch in der Kirsche eine Macht der Unterdrückung und Entfremdung der Menschen, die sie mit jenseitiger Vertröstung vom gesellschaftlich-politischen Engagement fernhält, kritisiert er aberzugleich die Religion als „Ideologie“, deren Basis in den gesellschaftlichen Verhältnissen zu finden ist. „Feuerbach löst das religiöse Wesen in das menschliche Wesen auf. Aber das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum innenwohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse. […]

Feuerbach sieht daher nicht, daß das ‚religiöse Gemüt’ selbst ein gesellschaftliches Produkt ist und daß das abstrakte Individuum, das er analysiert, einer bestimmten Gesellschaftsform angehört.“ (3) 

Der Philosoph der Lebensbejahung Nietzsche ist der Religionskritiker, der sich einer religiösen Sprache bedient (v.a. in seinem Werk: Also sprach Zarathustra), um gegen den Theismus (Christentum in erster Stelle) so leidenschaftlich wie mehrschichtig vorzugehen. Im Gegenteil zu allen Philosophen kann er mit seiner vieldeutigen Sprache der Mehrdimensionalität und Fülle des Lebensgerecht werden, die mit der Vernunft nie adäquat und systematisch zu erfassen wären. Die Lebendigkeit des Geistes zeigt sich gerade durch seine kreative Fruchtbarkeit, die wiederum zum Charakteristikum jeder Kritik metaphysischer Absicherungen, mit denen die menschliche Schwäche konfrontiert werden soll.

Nietzsche verhöhnt das Christentum als „Platonismus fürs Volk“ und zwar aus dem Hintergrund seiner scharfen Metaphysik-Kritik allgemein, wobei er die „Welttrennung“ in einer wahren "Platonischen Ideenwelt" und falschen "sinnlichen Welt" verwirft und behauptet, dass die Verneinung des wirklichen Lebens einerseits und der Glaube an einer ‚Hinterwelt‘ anderseits zum „Nihilismus“ führen.

Ein christlicher Gottesbegriff, wonach alles Diesseitige verneint wird (als etwas, das angeblich nicht dem wahren Sein angehörend) ist genauso eine sprachliche Illusion wie die ganze Metaphysik, die noch auf Grammatikvorurteile fußt. Und so lässt er Zarathustra sprechen: „Bleibt mir der Erde treu [...] Lasst sie nicht davon fliegen vom Irdischen und mit den Flügeln gegen ewige Wände schlagen! Ach, es gab immer so viel verflogene Tugend!“ (4)

Er vergleicht das Christentum mit einer Art "Selbstmorde der Vernunft." (5) und beschreibt es weiter so: „Der Christliche Glaube ist von Beginn an Opferung: Opferung aller Freiheit, alles Stolzes, aller Selbstgewissheit des Geistes; zugleich Verknechtung und Selbst-Verhöhnung, Selbst-Verstümmelung.“ (6) 

Gegen jeden Nihilismus hält er seine Philosophie der Bejahung des Lebendigen, des Dionysischen (Dionysos: Rauschgott der Griechen), der kreativen Kraft des Übermenschen. Er hält den aktuellen Menschen für etwas, das man überwinden soll, hin zu dem neuen Menschen, dem Übermenschen: "Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden soll. Was habt ihr gethan, ihn zu überwinden? Alle Wesen bisher schufen Etwas über sich hinaus [...]

Seht, ich lehre euch den Übermenschen! Der Übermensch ist der Sinn der Erde. Euer Wille sage: der Übermensch sein der Sinn der Erde! Ich beschwöre euch, meine Brüder, bleibt der Erde treu und glaubt Denen nicht, welche euch von überirdischen Hoffnungen reden! Giftmischer sind es, ob sie es wissen oder nicht. Verächter des Lebens sind es, Absterbende und selber Vergiftete, denen die Erde müde ist: so mögen sie dahinfahren! Einst war der Frevel an Gott der größte Frevel, aber Gott starb, und damit starben auch diese Frevelhaften. An der Erde zu freveln ist jetzt das Furchtbarste und die Eigenweide der Unerforschlichen höher zu achten, als den Sinn der Erde!" (7)

Nietzsche spricht hier für einen Menschen (Individuum wie Gattung) aus, der des Irdischen treu bleibt und sich seiner schöpferischen Kraft bedient, um über sich hinaus zuwachsen, sich weiter zu entwickeln und zugleich sich von den fesselnden und behindernden Kräften der (von ihm als "Hinterweltler" verhöhnten) Religiösen und Metaphysiker zu befreien.

 
Literatur


(1): Immanuel Kant, "Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?"
in: "Berlinische Monatsschrift", Dezember-Heft 1784, S. 481-494.
(2): Feuerbach, "Das Wesen des Christentums" S. 43f.
(3): Marx, "Thesen über Feuerbach", GPTD VII, S. 264f.
(4): Nietzsche, "Also sprach Zarathustra", Fischer Taschenbuch Verlag, S. 87
(5): Nietzsche, "Jenseits von Gut und Böse", Kritische Studienausgabe 5, S.66
(6): ebd.
(7): Nietzsche, "Also sprach Zarathustra", Fischer Taschenbuch Verlag, S. 13/14