13.09.2015

Kierkegaard meint, der Glaube sei keine Lehre, sondern eine Existenzmitteilung. Erläuterung dieser Aussage.


Um zu verstehen, was Kierkegaard mit dieser Aussage uns vermitteln will, müssen wir zuerst die zwei Schlüsselbegriffe darin beleuchten, nämlich „Glaube“ und „Existenz“. Die Existenzphilosophie des Kierkegaard ist im Grunde genommen eine Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben. Die „Existenz“ eines Menschen meint etwa die „Wahrheit“ seines Lebens, also etwa die Antwort auf die Frage, was und wozu ist sein Leben (überhaupt da). Kierkegaard stellt zuerst fest, dass keiner in der Lage ist, diese Antwort zu geben. Dafür aber ist offensichtlich, dass die menschliche Existenz durch Widersprüchlichkeit und Zerbrechen an Konflikten zwischen Freiheit und Notwendigkeit, Leib und Geist usw. gekennzeichnet ist. Aus dieser menschlichen Situation ergibt sich „Angst“, die nach Kierkegaard nur im Glauben zu überwinden ist und somit sind wir beim zweiten Begriff. Es geht nicht darum, das Wort „Glaube“ zu erklären, sondern eher um die Frage, an was oder wen soll man glauben? Die christliche Religion meint an „Gott“, also an eine dem Menschen unbegreifliche Übermacht und hier liegt das nächste Problem von Kierkegaard, nämlich die Unbegreiflichkeit Gottes. Um den Kerngedanken von Kierkegaard problematisch darzustellen, können wir sagen: Der Mensch muss einerseits eine von Grund auf vollwidersprüchliche Existenz führen, die er nicht versteht und daher ihm Angst macht, aber anderseits versucht er auf paradoxe Weise, dieses Problem durch den Glauben an einen ihm unbegreiflichen Gott zu lösen. Wie geht nun Kierkegaard vor, um diese Problematik zu beleuchten? Er geht eigentlich keinen direkten Weg, sondern viele Umwege, um auf das Verhältnis Existenz/Glaube aus verschiedenen Perspektiven „aufmerksam zu machen“. Der Begriff der „Leidenschaft“ spielt eine Zentralrolle in seiner Philosophie, denn erst damit kommt ein Lebenseinsatz zum Tragen und wird somit zwischen dem konkreten Existieren bzw. der Wirklichkeit und dem bloßen Denken unterschieden. Für ihn ist die Leidenschaft vielmehr ein Grundvollzug des Geistes selbst, insofern er an sich Interesse hat, nicht aber ein Affekt, der ihm gegenübersteht. Und nur die Leidenschaft führt zu Entscheidungen und einzig durch diese kann sich wiederum eine selbständige Subjektivität entwickeln. Die „Innerlichkeit“der Leidenschaft führt in den Existenzkern, nicht aber die Äußerlichkeiten des Lebens oder des Denkens. All das charakterisiert zugleich den christlichen Glauben:

Das Christentum ist Geist, Geit ist Innerlichkeit, Innerlichkeit ist Subjektivität, Subjektivität ist wesentlich Leidenschaft, und im Maximum unendliche, persönlich interessierte Leidenschaft für ihre ewige Seligkeit. Sobald man die Subjektivität fortnimmt, und von der Subjektivität die Leidenschaft, und von der Leidenschaft das unendliche Interesse, so gibt es gar keine Entscheidung.“  (1)

Kierkegaard hält den Glauben für widersinnig, aber gerade an diesem Paradox reibt sich der Verstand und weckt seine Leidenschaft, aus der das Denken sich auf die ihm Unbekannte „Gott“ einlässt, es sucht, auch wenn es dabei untergeht. Es geht Kierkegaard hier um eine Leidenschaft des Denkens, die sich von einem bloßabstrakten Wissen unterscheidet. Die Existenzwirklichkeit ist zwar vernünftig nicht zu begreifen, und die Wirklichkeit Gottes noch weniger, aber aus Leidenschaft will das Denken bis zu dieser Grenze gehen.

Doch soll man vom Paradox nichts Übles denken; denn das Paradox ist des Gedankens Leidenschaft [...] Aber die höchste Potenz jeder Leidenschaft ist es stets, ihren eigenen Untergang zu wollen, und so ist es auch des Verstandes höchste Leidenschaft, den Anstoß zu wollen, ganz gleich daß er Anstoß auf die eine oder andere Weise sein Untergang werden muß. Das ist denn des Denkens höchstes Paradox: etwas entdecken wollen, das es selbst nicht selbst denken kann. [...] Aber was ist denn dies Unbekannte, an dem der Verstand in seiner paradoxen Leidenschaft sich stößt, und das dem Menschen sogar seine Selbsterkenntnis stört? Es ist das Unbekannte. Aber es ist ja nicht irgendein Mensch, soweit er diesen kennt, oder irgendein anderes Ding, das er kennt. So laßt uns denn dies Unbekannte den Gott nennen.“ (2)   

Der Glaube nach Kierkegaard ist eine Existenzweise und keine Lehre im Sinnen von einem System von Inhalten und Vorstellungen, die man systematisch erlernen kann. Der Verstand verzichtet darauf, die Wahrheit der Existenz zu finden und nimmt dafür den Glauben an Gott, auch wenn dessen Unbegreiflichkeit zu einem Paradox der Innerlichkeit selbst führt. Kierkegaard zieht eine Parallele zwischen dieser Zuspitzung des Religionswidersinns und der christlichen Vorstellung von der Menschwerdung Gottes.   
 

Literatur

(1): Kierkegaard, "Abschließendeunwissenschaftliche Nachschrift ..."I, S. 28f.
(2): Kierkegaard, "Philosophische Brocken" S.35, S.37

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