13.09.2015

Friedrich Schleiermachers Definition der Religion angesichts der Kontingenz des Lebens.


Man spricht allgemein von "Kontingenz", wenn es darum geht, das Zufällige, das Undefinierbare, das Fatale oder das Unkontrollierbare in unserem Leben zu beschreiben. Erfahrungen (wie z. B. Krankheiten, Unfälle, Kriege, Tod, usw.) die uns an unsere Vermögensgrenzen stoßen lassen, die uns manchmal schlagartig ins Bewusstsein darüber versetzen, wie machtlos, endlich, anfällig oder vergänglich wir sind, werden als "Kontingenzerfahrungen" bezeichnet.

Zur Überwindung dieser Kontingenzerfahrungen kennt der Mensch verschiedene Lebenspraxen, darunter stellen die Religionen einen wesentlichen Teil dar. Indem sie das "Kontingente" als Kehrseite einer übermächtigen "Kraft" ansehen, versuchen sie diese weiterhin sehr unterschiedlich zu deuten, etwa als Naturgeist bzw. geistige Übermacht, als höchste Vernunft oder sogar als personalen Gott. Die meisten Religionen bieten ein lebenspraktisches Orientierungssystem, das aus Riten, Normen, Symbolen usw. besteht, durch die der Mensch sich sozial und kosmisch geborgen fühlen kann. Diese Ordnung und die "Macht" dahinter sind der menschlichen Herrschaft laut dieser Religionen schließlich entzogen.    

In diesem Kontext (des Herrschaftsentzugs) gekennzeichnet Schleiermacher die Religion durch ein Gefühl der "schlechthinnigen Abhängigkeit" (1). Diese scharfe Beschreibung der Abhängigkeit als schlechthinnig drückt für ihn die Tatsache aus, dass wir sie nicht aus unserer Freiheit überwinden können, denn sie steht unserer Freiheitserfahrung entgegen einerseits, aber anderseits können wir sie bloß auf Grund der Freiheitserfahrung fühlen. Da Schleiermacher die Religion nicht als Glaubensinhalte versteht, die begrifflich gefasst werden können, spricht er von einem "Gefühl". Er sieht sie eher als eine Sonderart, die das Ganze des Universums in lebendiger Anschauung zu erfassen versucht. Die Religion ist für ihn ein emotionaler Zugang zur Ganzheit des unendlichen Universums, mit einem Wort, sie ist: "Sinn und Geschmack fürs Unendliche" (2).     

 

Literatur

(1): Der christliche Glaube, §4

(2): Über die Religion, S. 53

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