13.09.2015

Was versteht man unter Deismus?


Das Gottesverständnis der auf Offenbarung basierten Religionen gerät mit der neuzeitlichen Aufklärung in kritische Auseinandersetzungen. Die Neuzeit betont in steigenden Maßen die Geltung und "Bevormundung" der Vernunft in allen Bereichen des Lebens auch in Sachen der Moral und Religion. In seiner Antwortschrift über die berühmte Frage "Was ist Aufklärung?" fordert Kant den Menschen auf, seinen eigenen Verstand einzusetzen und sich nicht von anderen bevormunden zu lassen. Der nächste Schnitt seiner Beantwortung zeigt (in Angesicht der gegenwärtigen fanatischen Ereignisse, der Medienmanipulation, der Politikverdrossenheit, des Konsumwahns, der Umweltproblematik, usw.) wie aktuell diese Aufforderung immer noch ist: "AUFKLÄRUNG ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapereaude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung. [...] Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt usw., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen. [...] Es ist also für jeden einzelnen Menschen schwer, sich aus der ihm beinahe zur Natur gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten. Er hat sie sogar lieb gewonnen und ist vorderhand wirklich unfähig, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, weil man ihn niemals den Versuch davon machen ließ. Satzungen und Formeln, diese mechanischen Werkzeuge eines vernünftigen Gebrauchs oder vielmehr Mißbrauchs seiner Naturgaben, sind die Fußschellen einer immerwährenden Unmündigkeit." (1)    

Dieser Aufklärungsprozess beginnt in der (oder eher gründet die) Neuzeit und hat v.a. als Thema die Herrschaft der Kirche in der Gesellschaft und die Säkularisierung dieser. Es gibt Denker, die das Gottesverständnis offenbarungsbezogener Religion nicht für vernunftgerecht halten, indem sie viele religiöse Bestandteile wie etwa die Wunder für vernunftwidrig ansehen. Ein göttliches Prinzip hinter der Schöpfung muss nach manchen Philosophen nicht unbedingt als Offenbarung verstanden werden, sondern man kann den Glauben an Gott aus Vernunftgründen herleiten. Daher wird hier von Vernunftreligionen gesprochen. Von diesem Vernunftglauben gibt es verschiedene philosophische Vorstellungen, darunter der Deismus. Ein Deist glaubt, dass Gott zwar das Universum ursprünglich geschaffen hat, aber dann nicht mehr darin eingreift oder das Geschehen in unserer Welt beeinflusst. Im Gegenteil dazu hält der Theismus Gott jederzeit für das mögliche Kausalprinzip aller Geschehnisse in der Welt. Hierzu Diderot: "Der Deist ... glaubt an Gott leugnet aber jede Offenbarung; der Theist hingegen nimmt bereitwillig die Offenbarung an und gibt die Existenz Gottes zu." (2)

Der Deismus geht von einer Volltrennung zwischen Gott und Welt aus, d. h. die Welt "läuft" völlig unabhängig von Gottes Eingreifen weiter ab, hingegen postuliert der Pantheismus die Einheit von Gott und Welt, d. h. alles was ist oder geschieht ist letztendlich "göttlich" oder Ausdruck "göttlichen" Willens, also Gott und Sein sind eins. Ein Deist ist somit ein Religionsphilosoph, der das Göttliche vernünftig zu begründen versucht, ohne dafür eine Offenbarung oder Glaubensaussagen einer bestimmten Religion anzunehmen. Der Deismus postuliert, dass Gott als abstraktes Wesen eine Ursache der Weltschöpfung darstellt, jedoch akzeptiert er die Idee nicht, dass Gott das konkrete Handeln in der Welt in irgendeine Weise lenkt. Ein Deist versucht eigentlich seine Vernunftreligion mit dem modernen wissenschaftlichen Weltbild zu vereinbaren, indem er Gott als transzendierte Ursache der Welt annimmt, die aber im Nachhinein - seiner Ansicht nach - selbständig und einzig nach eigenen Gesetzmäßigkeiten (im Vorbild eines Uhrwerks) funktioniert. Weiterhin erkennt ein Deist der Religion vorwiegend eine legitimierende Funktion von sittlichen und gesellschaftlichen Ordnungen an.

"Die Tendenz der Deisten pflegt dahin zu gehen, den Vorgang der natürlichen Religion zu behaupten und für die natürliche Vernunft die Fähigkeit zur Erfüllung der sittlichen Gebote des Urhebers der Natur und damit zur Erlangung des göttlichen Wohlgefallens in Anspruch zu nehmen. Die Offenbarung gilt ihnen teils als hilfreich und teils als schlicht entbehrlich. Ihre Beglaubigung durch Wunderberichte verdient kein Vertrauen: entweder lassen sich scheinbar natürliche Vorkommnisse natürlich erklären, oder die Berichterstatter täuschen uns - sofern sie sich selber nicht täuschen." (3)             

Literatur

(1): Immanuel Kant, "Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?"
in: "Berlinische Monatsschrift", Dezember-Heft 1784, S. 481-494.
(2): zit. n.: Artikel "Diderot", in: Weger (1979), S. 68
(3): R. Specht, in: GPTD V, S. 342

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