06.10.2012

(6) Die Position des logischen Atomismus bei Russell und Wittgenstein


Seit Descartes kommt es - allgemein betrachtet – bei der Anwendung der analytischen Methode darauf an, ein bestimmtes Problem so lösen zu versuchen, indem man es in möglichst kleine Einheiten zerlegt, die sich eindeutig klarer beurteilen lassen als komplexe Sachverhalte. Im Sonderfall der Sprache wird diese Methode Sprachanalyse genannt, wobei es hier darum geht, die Regeln und Grundstrukturen der Sprache herauszuarbeiten mit dem Ziel, eine klare Sprachstruktur festzuhalten, die alle Ungenauigkeiten der Umgangssprache unterbindet. Ausgehend von der Funktion der Sprache, die darin liegt, Aussagen über die Wirklichkeit zu treffen, beschränkt sich das idealsprachliche Modell in erster Stelle auf die Aussagesätze.

Russel und Wittgenstein vertreten in diesem Kontext eine bestimmte Position, den sog. logischen Atomismus, die eine Isomorphie (Strukturgleichheit) zwischen der logischen Struktur der Sprache und der Struktur der Realität postuliert. Dieser Isomorphie zwischen den beiden liegen zwei Hauptannahmen zu Grunde. Einerseits gehen Russel und Wittgenstein davon aus, dass der Zusammenhang zwischen Sprache und Wirklichkeit eine Abbildfunktion ist, genauer die Sprache bildet die Wirklichkeit ab. Der analytischen Methode konform, werden anderseits Sprache und Wirklichkeit in Grundeinheiten (Atome) zergliedert, zum ersten in einfache Beobachtungssätze und zum zweiten in einfache Tatsachen.
Seit Parmenides (oder spätestens seit Aristoteles) steht die Ontologie im engsten Verhältnis mit der Sprachanalyse. Traditionell hat die Metaphysik eine simple Gegenüberstellung zwischen Gegenständen und Worten angenommen, wobei die letzten das Wesen und die Eigenschaften der ersten unmittelbar und eindeutig in sich tragen als wären die einen nur die Kehrseite der anderen. Diese Sichtweise entspricht noch der absoluten Definierbarkeit der Welt und dem in der Sprache vorgegebenen Sinn aller Seienden. Demgegenüber schlägt der logische Atomismus einen anderen Weg ein, indem er eine Gegenüberstellung zwischen elementaren Tatsachen und deren entsprechenden einfachsten Aussagesätzen annimmt, da die einzelnen Worte völlig austauschbar sind und in sich gar nicht bedeuten, wenn sie nicht kontextbezogen und nach Verwendungsfall betrachtet werden. Dass die Beziehung zwischen Signifikat und Signifikanten völlig willkürlich ist ist erst eine Entdeckung der Moderne. Der Atomismus setzt zuerst hier an und geht dann einen Schritt weiter, indem er in einer ersten Phase die Wirklichkeit einerseits und die Sprache anderseits in deren atomaren Einheiten zerlegt, und zwar jeweils in Tatsachen und deren zum Ausdruck bringenden Aussagesätzen. Weiterhin stellen Russel und Wittgenstein im Vorbild der Mathematik eine Abbildfunktion zwischen diesen zwei Mengen (der Tatsachen und Aussagesätzen) auf, die die Struktur der beiden als gleich (isomorph) voraussetzt. Obwohl Wittgenstein nicht explizit vom logischen Atomismus sprach wie es Russel tat, beinhaltet sein “Tractatus” eine detaillierte Grundlegung dieser sprachlichen Sichtweise. Durch die logische Analyse gelangt Wittgenstein zur Ansicht: "Die Welt zerfällt in Tatsachen." [GPTD 8, S. 292]. Eine Tatsache ist für ihn ein bestehender Sachverhalt. Bestehende und nichtbestehende Sachverhalte gehören zu einem logischen Raum, den unsere Sprache abbildet. Und somit haben die Sprache und die Welt die gleiche logische Form. Denn wenn die Sprache sich in einfache Aussagesätze analysieren lässt, die Welt seinerseits kann in elementare Tatsachen zergliedert werden.
Um sozusagen die 'Brücke' zwischen der Welt (den Tatsachen) und der Sprache (den Aussagesätzen) zu bauen, geht Wittgenstein über die Analyse der Abbildfunktion der Sprache: "Wir machen uns Bilder der Tatsachen." ... und "Das Bild ist ein Modell der Wirklichkeit.", wobei er die Wirklichkeit als "Das Bestehen und Nichtbestehen von Sachverhalten..." definiert. [GPTD 8, S. 296]. Er folgt seine akribische Analysen bis er behauptet: "Das logische Bild der Tatsachen ist der Gedanke." ... und "Im Satz drückt sich der Gedanke sinnlich wahrnehmbar aus." [GPTD 8, S. 299]. Im Angesicht der Betonung und Geltung der Aussagesätze gegenüber der Austauschbarkeit einzelner Worte sagt Wittgenstein: "Nur der Satz hat Sinn; nur im Zusammenhange des Satzes hat ein Name Bedeutung." [GPTD 8, S. 308]. Und der Kreis schließt sich langsam, wenn er meint: "Der Gedanke ist der sinnvolle Satz", also im Umkehrschluss nur Aussagesätze sind sinnvoll und dann "Die Gesamtheit der Sätze ist die Sprache." [GPTD 8, S. 309].
Fassen wir zusammen, Wittgenstein analysiert erstens die Welt und sagt: "Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge." [GPTD 8, S. 292] und zweitens die Sprache und stellt fest: "Die Gesamtheit der Sätze ist die Sprache." [GPTD 8, S. 309]. Weiterhin konstruiert er eine logische Zuordnung zwischen den beiden: "Die Angabe aller wahren Elementarsätze beschreibt die Welt vollständig. Die Welt ist vollständig beschrieben durch die Angaben aller Elementarsätze plus der Angabe, welche von ihnen wahr und welche falsch sind." [GPTD 8, S. 324].

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Literatur
Tractatus logico-philosophicus (siehe GPTD 8)
GPTD 8: Geschichte der Philosophie in Text und Darstellung, Band 8
20. Jahrhundert
Reclam

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