05.04.2015

Der Begriff „ungesellige Geselligkeit“ in Kants Geschichtsphilosophie



Die Geschichtsphilosophie Kants bezieht sich auf einen Naturbegriff, der sich nicht am Kausalprinzip der Naturwissenschaft, sondern an dem Organischen orientiert und dessen innerer Zweckmäßigkeit. Die Freiheit und Vernunft sind beim Menschen (als Mängelwesen) die Hauptmotive seiner Kulturentwicklung, die seine Instinktfreiheit und Körperschwächen kompensieren, auch wenn sich diese Potentialanlagen „nur in der Gattung, nicht aber im Individuum vollständig entwickeln können“ (1). Kant sucht eine Art „Naturabsicht“ in der Vernunftbestimmtheit der Menschen. Er problematisiert seine Leitfrage, ob die Geschichte durch Menschwillen bestimmt bzw. vernünftig wäre: „ob es wohl vernünftig sei, Zweckmäßigkeit der Naturanstalt in Teilen und doch Zwecklosigkeit im Ganzen anzunehmen“ (2). Seine Abhandlung „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“ bemüht sich, Argumente für eine Zweckmäßigkeit der ganzen Geschichte herauszuarbeiten. Er sieht das wesentliche Argument darin bestehen, dass sich die Naturanlage des Menschen in zwei antagonistische Kräfte aufteilt, nämlich eine „integrierende“, die ihn zu sozialisieren tendiert und eine, die ihn als Egoisten gegen alle durchzusetzen veranlasst. Diese widerstreitenden natürlichen Fähigkeiten beim Menschen nennt Kant „ungesellige Geselligkeit“. Mit diesem Begriff versucht Kant die Widersprüche menschlicher Neigungen zwar als Dynamik der Kulturentwicklung zu erfassen, wobei aber die „wilde“ Freiheit ohne Vernunft (also ohne Moral) zu Kampfhandlungen führen muss, die wiederum eine friedliche Gesellschaft zwischen Menschen für unmöglich machen. Im Umkehrschluss dieser Analyse Kants stellt lediglich ein Kompromiss zwischen Freiheit und Vernunft (praktisch verkörpert in Gesetzen und Staatsverfassungen) eine Basis für eine weltbürgerliche Fortschrittsgeschichte dar. Die „ungesellige Geselligkeit“ zu überwinden bzw. positiv für die Menschheit einzusetzen, zeigt die Notwendigkeit, dass die Geschichtsphilosophie in eine politische Philosophie münden muss, die für rechtliche Staatsordnungen sorgt und somit die Menschen voreinander schützt und letztendlich ein Zusammenleben in „vernünftige“ Freiheit für alle ermöglicht. „Aus Not“ kann jeder „Weltbürger“ einsehen, dass die Rechtstaatlichkeit der beste Ausweg aus den mörderischen Konflikten ist, von denen die tatsächliche Weltgeschichte eine Unmenge Belege in Form von Kriegen und gewaltigen Auseinandersetzungen darbietet. Nach Kant ist diese kosmopolitische Deutung der Geschichte selbst eine Aufklärung über die vernünftigen Möglichkeiten unserer Freiheit.               

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Literatur:
(1): GPTD VI, S. 96
(2): GPTD VI, S. 105
GPTD = Geschichte der Philosophie in Text und Darstellung, Reclam/Stuttgart

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