02.10.2012

(1) Was ist ein Hermeneutischer Zirkel?


Ein Zirkel weist uns auf eine Kreisbewegung, die nicht vorwärstgeht, sondern in sich geschlossen bleibt. Es handelt sich im Sinne der Frage um eine Gedankenbewegung, eine Entwicklung der Gedanken, die mittels Argumentieren voranschreiten soll, d.h. ausgehend von Annahmen neue Resultate  generieren soll. Wird aber eine solche Gedankenbewegung auch in sich gefangen bleiben, indem sie Vorgaben und Ergebnisse nicht klar voneinander trennt, sondern gar eine Annahme bewusst oder unbewußt als ein erreichtes Ergebnis akzeptiert, dann ist die Argumentation logischerweise widersprüchlich und somit ungültig. In der Hemeneutik als Deutungskunst sind die  behandelten Themen wie etwa Texte verschiedener Art so komlex, dass es sehr schwierig eine lineare Argumentation zu verfolgen wie es der Fall beispielsweise in der mathematisch-exakten Naturwischenschaften ist. Es liegt in der Natur der hermeneutischen Themen, dass eine geradelinige Fortbewegung der Gedanken schwierig ist und daher funktioniert jeder Deutungsversuch bzw. jedes Sinn-Verstehen etwa der Geschichte oder allgemein des geschichtlich-menscchlischen Schaffens nur anhand eines dauerhaften Platzwechsels zwischen anngenomenen und erreichten “Wahrheiten” bzw. “Teilwahrheiten”. Es sei dahingestellt, ob diese letzten auch noch Tatsachen entsprechen oder nur teils oder ganz konstruiert oder herbeifantasiert sind unter  viele Einflußfaktoren wie z. B. Subjektivität oder eigenen Erfahrungen, die man kaum ausschließen kann. Das Verhältnis zwischen Teil und Ganzem ist zwangsläufig zirkulärer Art, denn das Verstehen z. B. eines Textes als Teil einer sprachlichen Kultur setzt schon voraus eine zumindest grobe Kenntnis dieser Kultur, wobei die letzte nicht anders als Gesamtheit von vielen Komponenten zu denen auch der behandelte Text gehört.
Unter “hermeneutischem Zirkel” ist diese vorhin erwähnte große Schwierigkeit mit einer linearen und stets klaren Voranbewegung der Gedanken und Argumentation gemeint, wenn es darum geht, z. B. menschliche und historische Angelegenheiten zu deuten und ihnen einen Sinn zuzuordnen, ohne dass der Hermeneutiker immer wieder an seinen eigenen Vorannahmen stolpert und sich damit abfinden muss, dass sich eine rotierende bzw. hin und her Gedankenbewegung nicht vermeiden läßt.

Martin Heidegger versucht diese Schwierigkeit des hermeneutischen Zirkels zu überwinden, indem er ausgehend von seinem Begriff “Vor-Struktur des Verstehens” als Sinn-Horizont das Problem anders zu betrachten. Für ihn geht es hier nicht um einen logischen Fehler, der vermieden werden muss, sondern im Bereich der Gesteswischenschften erweist sich eine stenglogische Vorgehensweise im Vorbild der Naturwissenschaften als beschränkend und daher der hermeneutischen Themen nicht angemessen ist. Denn es gilt eher eine ganzheitliche Perspektive mit eben ihrem zirkulären Charakter in Betracht zu ziehen, um die menschlische Welt überhaut verstehen zu können. Für Heidegger setzt jedes Verständnis menschlichen Sachverhalte voraus, dass ein Vor-Verständnis im Sinne von Voreinstellungen und Sinn-Perspektive bereits vorhanden ist. Ein Anfang sozusagen beim Null bzw. bei genauen Vorgaben wie in der exakten Naturwissenscht ist weder möglich noch strebenswert, denn allein eine Haltung, die das Ganze stets im Blickfeld hält, ist einem Verstehen menschlischen Welt adäquat ist. Und da das Verhältnis zwischen Ganzheit und deren Teilen hermeneutisch zirkulär ist, sieht Heidegger diesen Charakter als notwendig, nicht aber als Problem, das möglichst umzugehen ist.  Daher ist für ihn das Verstehen kein Problem der Methode, sondern eine Grundbestimmung des Daseins selbst.

Auch Hans-Georg Gadamer lässt sich von seinem Lehrer Heidegger inspirieren und seinem Begriff “Vor-Struktur des Verstehens”, indem er Vorurteile für Bedingungen des Verstehens hält. Vorurteile vermeinden wie die Aufklärung fordert, sieht er für ein falsches Erkenntnisideal. Aus dem Nichts kann man ja gar keine Frage an die Welt stellen und schon gar nicht verstehen wollen. Denn eine Frage setzt bereits voraus, dass man ein bestimmtes Verständnis mit bringt genauso wie beim Antworten. Der zikulärer Charakter ist bei diesem Zusammenspiel zwischen “Fragen” und “Antworten” ist unausweichlich. Gadamer geht es dann lediglich darum, dass wir uns unerer Vorurteile bewusst werden und weiterhin diese stets überprüfen und zwar bei jedem Vorgang des Verstehens von was auch immer.
Nun wie kann jemand sich von seinen Vorurteilen trennen, geschweige denn sie kritisch überprüfen?
Gadamer betont hierzu mit seinen eigenen Worten:
“Die Ausarbeitung der rechten, sachangemessenen Entwürfe, die als Entwürfe Vorwegnahmen sind, die sich `an den Sachen' erst bestätigen sollen, ist die ständige Aufgabe der Hermeneutik. [...] Es gilt, der eigenen Voreingenommenheit innezusein, damit sich der Text selbst in seiner Andersheit darstellt und damit in die Möglichkeit kommt, seine sachliche Wahrheit gegen die eigene Vormeinung auszuspielen.” {Wahrheit und Methode, S.252ff}.
In diesem Abschnitt schlägt Gadamer eine Methodik vor, wie wir möglichst unsere Vormeinungen “unerdrücken” und ein Text z. B. in seiner Andersheit begreifen können. Die Rolle des “Entwurfs” in dieser Vorgehensweise erinnert an die “Hypothese” oder gar “Theorie” bei Naturwissenschaften, die zuerst aufgestellt wird und dann anhand der Wirklichkeit überprüft und anschließend angenommen, korrigiert oder gänzlich weggevorfen wird.
Gadamer geht noch einen Schritt weiter und “versöhnt” uns mit unserer Geschichte, indem er es für kein Problem ansieht, dass der Zeitabstand zwischen Vergangenheit und Gegenwart für eine “Polarität von Vertrautheit und Fremdheit” sorgt. Denn wir sind daran interessiert, unsere Geschichte zu verstehen, eben weil wir Teil oder gar “Produkt” dieser Geschichte sind. Und der Zeitabstand soll gar produktiv beim Verstehen wirken, denn wir sind nicht mehr in der Vergangenheit, was “objektive” Beurteilung eher fördert als hindert.

Der hemeneutische Zirkel ist in diesen Zusammenhang nicht anders als eine Übersetzung der Geschichtlichkeit des Menschen, der dahin zurückschaut voher er kommt und versucht sich und seine Geschichte zu verstehen.

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