Ein Zirkel weist uns auf eine Kreisbewegung, die nicht
vorwärstgeht, sondern in sich geschlossen bleibt. Es handelt sich im Sinne der
Frage um eine Gedankenbewegung, eine Entwicklung der Gedanken, die mittels
Argumentieren voranschreiten soll, d.h. ausgehend von Annahmen neue
Resultate generieren soll. Wird aber
eine solche Gedankenbewegung auch in sich gefangen bleiben, indem sie Vorgaben
und Ergebnisse nicht klar voneinander trennt, sondern gar eine Annahme bewusst
oder unbewußt als ein erreichtes Ergebnis akzeptiert, dann ist die
Argumentation logischerweise widersprüchlich und somit ungültig. In der
Hemeneutik als Deutungskunst
sind die behandelten Themen wie etwa
Texte verschiedener Art so komlex, dass es sehr schwierig eine lineare
Argumentation zu verfolgen wie es der Fall beispielsweise in der
mathematisch-exakten Naturwischenschaften ist. Es liegt in der Natur der
hermeneutischen Themen, dass eine geradelinige Fortbewegung der Gedanken
schwierig ist und daher funktioniert jeder Deutungsversuch bzw. jedes
Sinn-Verstehen etwa der Geschichte oder allgemein des geschichtlich-menscchlischen
Schaffens nur anhand eines dauerhaften Platzwechsels zwischen anngenomenen und
erreichten “Wahrheiten” bzw. “Teilwahrheiten”. Es sei dahingestellt, ob diese
letzten auch noch Tatsachen entsprechen oder nur teils oder ganz konstruiert
oder herbeifantasiert sind unter viele
Einflußfaktoren wie z. B.
Subjektivität oder eigenen Erfahrungen, die man kaum ausschließen kann. Das
Verhältnis zwischen Teil und Ganzem ist zwangsläufig zirkulärer Art, denn das
Verstehen z. B. eines Textes als Teil einer sprachlichen Kultur setzt schon
voraus eine zumindest grobe Kenntnis dieser Kultur, wobei die letzte nicht
anders als Gesamtheit von vielen Komponenten zu denen auch der behandelte Text
gehört.
Unter “hermeneutischem Zirkel” ist diese vorhin erwähnte
große Schwierigkeit mit einer linearen und stets klaren Voranbewegung der Gedanken und Argumentation
gemeint, wenn es darum geht, z. B. menschliche und
historische Angelegenheiten zu deuten und ihnen einen Sinn zuzuordnen, ohne
dass der Hermeneutiker immer wieder an seinen eigenen Vorannahmen stolpert und
sich damit abfinden muss, dass sich eine rotierende bzw. hin und her
Gedankenbewegung nicht vermeiden läßt.
Martin Heidegger versucht diese Schwierigkeit des
hermeneutischen Zirkels zu überwinden, indem er ausgehend von seinem Begriff
“Vor-Struktur des Verstehens” als Sinn-Horizont das Problem anders zu
betrachten. Für ihn geht es hier nicht um einen logischen Fehler, der vermieden
werden muss, sondern im Bereich der Gesteswischenschften erweist sich eine
stenglogische Vorgehensweise im Vorbild der Naturwissenschaften als
beschränkend und daher der hermeneutischen Themen nicht angemessen ist. Denn es
gilt eher eine ganzheitliche Perspektive mit eben ihrem zirkulären Charakter in
Betracht zu ziehen, um die menschlische Welt überhaut verstehen zu können. Für
Heidegger setzt jedes Verständnis menschlichen Sachverhalte voraus, dass ein
Vor-Verständnis im Sinne von Voreinstellungen und Sinn-Perspektive bereits
vorhanden ist. Ein Anfang sozusagen beim Null bzw. bei genauen Vorgaben wie in
der exakten Naturwissenscht ist weder möglich noch strebenswert, denn allein
eine Haltung, die das Ganze stets im Blickfeld hält, ist einem Verstehen
menschlischen Welt adäquat ist. Und da das Verhältnis zwischen Ganzheit und
deren Teilen hermeneutisch zirkulär ist, sieht Heidegger diesen Charakter als
notwendig, nicht aber als Problem, das möglichst umzugehen ist. Daher ist für ihn das Verstehen kein Problem
der Methode, sondern eine Grundbestimmung des Daseins selbst.
Auch Hans-Georg Gadamer lässt sich von seinem Lehrer Heidegger inspirieren
und seinem Begriff “Vor-Struktur des Verstehens”, indem er Vorurteile für
Bedingungen des Verstehens hält. Vorurteile vermeinden wie die Aufklärung
fordert, sieht er für ein falsches Erkenntnisideal. Aus dem Nichts kann man ja
gar keine Frage an die Welt stellen und schon gar nicht verstehen wollen. Denn
eine Frage setzt bereits voraus, dass man ein bestimmtes Verständnis mit bringt
genauso wie beim Antworten. Der zikulärer Charakter ist bei diesem Zusammenspiel
zwischen “Fragen” und “Antworten” ist unausweichlich. Gadamer geht es dann
lediglich darum, dass wir uns unerer Vorurteile bewusst werden und weiterhin
diese stets überprüfen und zwar bei jedem Vorgang des Verstehens von was auch
immer.
Nun wie kann jemand sich von seinen Vorurteilen
trennen, geschweige denn sie kritisch überprüfen?Gadamer betont hierzu mit seinen eigenen Worten:
“Die Ausarbeitung der rechten, sachangemessenen Entwürfe, die als Entwürfe Vorwegnahmen sind, die sich `an den Sachen' erst bestätigen sollen, ist die ständige Aufgabe der Hermeneutik. [...] Es gilt, der eigenen Voreingenommenheit innezusein, damit sich der Text selbst in seiner Andersheit darstellt und damit in die Möglichkeit kommt, seine sachliche Wahrheit gegen die eigene Vormeinung auszuspielen.” {Wahrheit und Methode, S.252ff}.
In diesem Abschnitt schlägt Gadamer eine Methodik vor, wie wir möglichst unsere Vormeinungen “unerdrücken” und ein Text z. B. in seiner Andersheit begreifen können. Die Rolle des “Entwurfs” in dieser Vorgehensweise erinnert an die “Hypothese” oder gar “Theorie” bei Naturwissenschaften, die zuerst aufgestellt wird und dann anhand der Wirklichkeit überprüft und anschließend angenommen, korrigiert oder gänzlich weggevorfen wird.
Gadamer geht noch einen Schritt weiter und “versöhnt” uns mit unserer Geschichte, indem er es für kein Problem ansieht, dass der Zeitabstand zwischen Vergangenheit und Gegenwart für eine “Polarität von Vertrautheit und Fremdheit” sorgt. Denn wir sind daran interessiert, unsere Geschichte zu verstehen, eben weil wir Teil oder gar “Produkt” dieser Geschichte sind. Und der Zeitabstand soll gar produktiv beim Verstehen wirken, denn wir sind nicht mehr in der Vergangenheit, was “objektive” Beurteilung eher fördert als hindert.
Der hemeneutische Zirkel ist in diesen Zusammenhang nicht anders als eine Übersetzung der Geschichtlichkeit des Menschen, der dahin zurückschaut voher er kommt und versucht sich und seine Geschichte zu verstehen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen