Die Teilfrage “welche Bedeutung” kann in diesem
Kontext zweierlei verstanden werden, und zwar “was bedeutet” oder “was ist
gemeint” einerseits und “welcher Stellenwert” oder “welche Rolle spielt”
anderseits. Wir gehen davon aus, dass die Fragestellung beides abzielt.
Stets davon ausgehen, die Existenz der
Sachen samt all Voreinstellungen und Vorurteile einzuklammern und sich einzig
ihrem Gegebensein im Bewusstsein zu wenden, wirft später bei Husserl selbst die
Frage auf: Kann diese Grundhaltung auch dem Verständnis des Lebens innerhalb
der natürlichen Einstellung gerecht werden? Nun muss er die Frage klären, wie
die Vorurteilstruktur unser Denken und Handeln bestimmen, wenn es nicht nur um
die Frage nach einem individuellen Bewusstsein geht, sondern und insbesondere,
wenn nach dem Leben in einer Kultur, in einer Gesellschaft, kurz in einer
Mitmenscheitswelt gefragt ist. Um diese Herausforderung anzunähren, entwirft
Husserl den Begriff “Lebenswelt”, womit “das Universalfeld aller wirklichen
und möglichen Praxis”, aber auch “der universale, allen Menschen
gemeinsame Horizont von wirklich seienden Dingen” erfasst werden können.
Aber auch bei seiner Lebensweltanalyse bleibt er
seiner Methode der Reduktion treu, indem er die Vorurteilstruktur der
Lebenswelt auch einklammert, um die Grundlagen des gemeinsamen Welthorizontes
aufzuklären. Mit diesem Begriff der “Lebenswelt” will Husserl auch das
Auseinanderklaffen der wissenschaftlichen Theorie und alltäglichen
Lebenserfahrung beheben, zu dem vor allen der neuzeitliche Objektivitätsanspruch
der Wissenschaftler geführt hat. Die Einführung dieses Begriffs sorgt auch
dafür, dass die Hermeneutik als Deutung der kulturellen Sinnhorizonte und die
Phänomenologie als deskriptiver Zugang zu der Lebenserfahrung immer aufeinander angewiesen werden. Die
Einführungsnotwendigkeit der “Lebenswelt” ist weiterhin der Ausdruck dafür, wie
sich Husserl selbstkritisch von seinem Gedanken der Philosophiegrundlegung
mittels einer reinen Subjektivität, einer schlichten Egologie abwendet, auch
wenn er diese Wendung nicht zu all deren Konsequenzen führen kann. Sich selbst
treu erkennt er die Schwierigkeiten solchen Unternehmens und gesteht sie ein
mit der Ersehnung, dass seine Schüler dies weiter tun. Der Hang aber aus seiner
Phänomenologie eine Letztbegründung der Philosophie im Vorbild der
neuzeitlichen Versuche zu machen, veranlasst die Phänomenologen nach ihm andere
selbstsändige Wege zu gehen.
Sein Schüler Martin Heidegger distanziert sich am
stärksten von ihm, indem er die Phänomenologie ganz neu umorientiert. Er
kritisiert den Hussel'schen Ansatz beim Bewusstseinsleben und die Suche nach
einer Letztbegründung der Philosophie, dreht das Rad um und stellt das konkrete
Leben im Mittelpunkt, das Husserl vor ihm einklammert. Statt das Bewusstsein zu
analysieren, beschäftigt sich Heidegger mit der Analyse des Alltäglichen, des
In-der-Welt-Seins und definiert dafür seinen Begriff “Faktizität” als Ausdruck
dieser Tatsächlichkeit des konrekten Lebens. Da gerade unser Alltägliche durch
viele Vorurteile und Mißverständnisse belastet ist, bedarf es eher der
phänomenologischen Interpretation. Durch diesen Ansatz bei der Alltäglichkeit
profiliert sich Heidegger's Philosophie originell gegen allen Philosophien, die
von einem Idealtypus des Menschlichen ausgehen.
Um seinen Ansatz bei dem individuellen Bewusstsein zu
erweitern und das Leben in einer Kultur, in einer Gesellschaft einzubeziehen,
definiert Husserl seinen Begriff der “Lebenswelt”. Er bleibt aber bei seinem
“epoché” und will auch hier alle Vorurteile und Voreinstellungen außer Spiel
lassen, sie einklammern. Sein Schüler aber nimmt gerade das “Eingeklammerte”,
das außer Siel “Gelassene” und setzt es im Zentrum seiner Betrachtungen, seiner
hermenutischen Analyse und fasst diese Methodik unter “Hermeneutik der
Faktizität” zusammen.
Mit seiner “Lebenswelt” wird Husserl zu Hermeneutiker,
jedoch einer, der sich als gewißes Bewusstsein ansieht und diese “Lebenswelt”
verstehen kann, wenn er nur vorurteilsfreie vorgeht. Mit seiner “Faktizität”
setzt Heidegger aber bei der banalen Alltäglichkeit gerade mit all deren
Vorurteilen und Mißverständnissen an und sieht das Verstehen selbst nicht als
methologisches Problem wie Husserl es tut, sondern als ursprünglichen
Existenzvollzug schlechthin des Menschen. Anders gesagt, im Verstehen, in der
Analyse des Verstehens existiert nach Heidegger erst der Mensch, nicht vorher.
Die Husserl's Einklammerung der Wirklichkeit - und die Wirklichkeit ist auch
das Alltägliche, die Vorurteile, die Mißverständnisse, kurz die ganze Vor-Struktur
des Verstehens – setzt zwangsläufig voraus, dass das Bewusstsein außerhalb
dieser Wirklichkeit steht und nicht mitten drin. Daher spricht Heidegger von
ontologischer Zierkelstruktur beim Verstehen.
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