Schleiermacher hat die Auslegungskunst neu begründet,
indem er neben der objektiv-sprachlichen Analyse der Texte, der psychologisch-
subjektiven Dimension einen großen Stellenwert beimisst, denn nach ihm kann ein
Text nicht richtig verstanden werden, ohne die Absicht und die Persönlichkeit
des Autors in Betracht zu ziehen. Die Frage ist nun, wie lassen sich diese
erschließen? Der kulturelle Kontext sowie andere Werke des Autors können
hilfreich sein, diese Aufgabe anzunähren. Jedenfalls der rationale Ansatz im
Vorbild der neuzeitlichen Auklärung ist für eine romantische Hermeneutik
Schleiermachers zwar notwendig, jedoch nicht hinreichend. Der Hermeneutiker
benötigt desweiteren seine “Ahndung”, um sich in der Situation des Verfasser
einzufühlen. Aber eine gewisse Fremdheit wird trotzdem bleiben, was dazu führt,
dass die hermeneutische Aufgabe für Schleiermacher einen ewig offenen Charakter
hat. Augrund dieser Offenheit der Werke und der hermeneutischen Interpretation
sieht Schleiermacher, “dass wir einen Verfasser besser verstehen als er
selbst”. Hierin drückt sich das historische Bewußsein aus, dass spätere Epochen
mit deren Ausgangsvoraussetzungen noch mehr oder andere Bedeutungen in einem
Werk endecken können als der Urheber selbst. Und die Aufgabe der
Auslegungskunst liegt dann darin, nicht beliebiges in einem Werk
hineininterpretieren zu lassen, sondern kritische Kriterien zu entwerfen wie
etwa die komparative Methode Schleiermachers, die dafür sorgen, nur die
potentiell in einem Text versteckten Bedeutungen herauszuarbeiten. Trotz jeder
Bemühung einem Werk gerecht zu sein, bleibt
die Fremdheit des “anderen” als solches ein unvermeindliches Hindernis, daher
will Schleiermacher typisch romantisch, dass der Hermeneutiker sich auf seine
Intuition verlässt und wie er sagt, “divinatorisch” auslegt.
Manche moderne Philosophen wie etwa Gille Deleuze und
Félix Guattari betonen den offenen Charakter der Werke so dass uns überlassen
bleibt, wie wir diese Werke interpretieren und den in ihnen verborgenen Sinn
aufklären. Hierzu fällt mir auf, wie Deleuze beispielsweise den Begriff
Nietzsches “Wille zur Macht” interpretiert hat. Er versteht diesen Begriff
nicht wie man es üblicherweise tut etwa als Streben einer Herrschaft, eines
Siegs u.ä.m., sondern sieht die Macht hier (wie Nietzsche es auch meint)
als schöpferisches Vermögen und den Willen als Neigung
zur Befreiung der kreativen Kräfte, also Befreiung und Bejahung des Lebens, das
andere rückständige und negative Kräfte stets bemühmt sind es zu verhindern.
Ich denke, die Freiheit einem Text eine große Densität der Virtualität und
damit eine Offenheit der Möglichkeiten auf die Zukunft hin zu verleihen half
die Christen z.B. die religiösen Schriften mit dem modernen Menschenbild zu
versöhnen. In der muslimischen Welt haben auch viele Denkpioniere früher und
heute solche Wege einzuschlagen versucht, nämlich in den heiligen Schriften
sowie dem ganzen islamischen Erbe die Seiten und Aspekte zu unterschreichen
wagen, die mit der Zivilisationsentwickung etwa Menschenrechte Schritt halten.
Aber die rückständige und konservative Kräfte, die sich Texte nur wörtlich
vorstellen können einserseits und ihre politische Interessse mit dieser
buchstäblichen Interpretation der Geschichte verbinden, um vor allem ihre Macht
über die Gesellschaft zu gewährleisten haben früher und heute dazu geführt,
dass der Durchbruch nach einer offenen modernen Gesellschaft sich noch nicht
vollziehen kann.
Einen Text besser zu verstehen als sein Verfasser, wie
Schleiermacher postuliert, kann in dieser Hinsicht nichts anders heißen als den
offenen oder sogar uns fremden Charakter eines Textes auszunutzen, um
potentiell verborgene aufklärungsfähige Elemente fürs Leben auszuarbeiten. Eine
hermenutische Interpretation nach dem Verständnis Schleiermachers soll einen
Text zuerst in seinem historischen Kontext beleutchten und weiterhin an die
Gegenwart und seine Voraussetungen zu messen. Diese Art Doppelfunktionierung
eines Textes, einmal als Teil der Vergangenheit hineinzufühlen, “anzuahnden”
und somit den Text seinem Kontext und sich selbst gegenwärtig zu halten und das
für uns fremdartiges Beigeschnmack zu mildern und zweitens als Teil der
Gegenwart mit aktuellen Licht zu fokussieren und somit uns als zeitgenossen zu
verstehen. Als Fomel kann diese Doppelfunktion so zusammengefasst: Einen Text
als zeigenossen zu sich selbst einerseits und als zeigenossen für uns
anderseits zu verstehen. In dem letzten Teil können wir tatsächlich in unserer Situation
einen Text besser verstehen, würde sagen besser weiter funktionalisieren, Sinn
für uns schöpfen als der Verfasser sich in seiner Situation nicht mal
vorstellen vermag.
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