02.10.2012

(2) Schleiermachers Ansicht, man müsse einen Text besser verstehen als sein Autor


Schleiermacher hat die Auslegungskunst neu begründet, indem er neben der objektiv-sprachlichen Analyse der Texte, der psychologisch- subjektiven Dimension einen großen Stellenwert beimisst, denn nach ihm kann ein Text nicht richtig verstanden werden, ohne die Absicht und die Persönlichkeit des Autors in Betracht zu ziehen. Die Frage ist nun, wie lassen sich diese erschließen? Der kulturelle Kontext sowie andere Werke des Autors können hilfreich sein, diese Aufgabe anzunähren. Jedenfalls der rationale Ansatz im Vorbild der neuzeitlichen Auklärung ist für eine romantische Hermeneutik Schleiermachers zwar notwendig, jedoch nicht hinreichend. Der Hermeneutiker benötigt desweiteren seine “Ahndung”, um sich in der Situation des Verfasser einzufühlen. Aber eine gewisse Fremdheit wird trotzdem bleiben, was dazu führt, dass die hermeneutische Aufgabe für Schleiermacher einen ewig offenen Charakter hat. Augrund dieser Offenheit der Werke und der hermeneutischen Interpretation sieht Schleiermacher, “dass wir einen Verfasser besser verstehen als er selbst”. Hierin drückt sich das historische Bewußsein aus, dass spätere Epochen mit deren Ausgangsvoraussetzungen noch mehr oder andere Bedeutungen in einem Werk endecken können als der Urheber selbst. Und die Aufgabe der Auslegungskunst liegt dann darin, nicht beliebiges in einem Werk hineininterpretieren zu lassen, sondern kritische Kriterien zu entwerfen wie etwa die komparative Methode Schleiermachers, die dafür sorgen, nur die potentiell in einem Text versteckten Bedeutungen herauszuarbeiten. Trotz jeder Bemühung einem Werk gerecht zu sein, bleibt  die Fremdheit des “anderen” als solches ein unvermeindliches Hindernis, daher will Schleiermacher typisch romantisch, dass der Hermeneutiker sich auf seine Intuition verlässt und wie er sagt, “divinatorisch” auslegt.

Manche moderne Philosophen wie etwa Gille Deleuze und Félix Guattari betonen den offenen Charakter der Werke so dass uns überlassen bleibt, wie wir diese Werke interpretieren und den in ihnen verborgenen Sinn aufklären. Hierzu fällt mir auf, wie Deleuze beispielsweise den Begriff Nietzsches “Wille zur Macht” interpretiert hat. Er versteht diesen Begriff nicht wie man es üblicherweise tut etwa als Streben einer Herrschaft, eines Siegs u.ä.m., sondern sieht die Macht hier (wie Nietzsche es auch meint) als schöpferisches Vermögen und den Willen als Neigung zur Befreiung der kreativen Kräfte, also Befreiung und Bejahung des Lebens, das andere rückständige und negative Kräfte stets bemühmt sind es zu verhindern. Ich denke, die Freiheit einem Text eine große Densität der Virtualität und damit eine Offenheit der Möglichkeiten auf die Zukunft hin zu verleihen half die Christen z.B. die religiösen Schriften mit dem modernen Menschenbild zu versöhnen. In der muslimischen Welt haben auch viele Denkpioniere früher und heute solche Wege einzuschlagen versucht, nämlich in den heiligen Schriften sowie dem ganzen islamischen Erbe die Seiten und Aspekte zu unterschreichen wagen, die mit der Zivilisationsentwickung etwa Menschenrechte Schritt halten. Aber die rückständige und konservative Kräfte, die sich Texte nur wörtlich vorstellen können einserseits und ihre politische Interessse mit dieser buchstäblichen Interpretation der Geschichte verbinden, um vor allem ihre Macht über die Gesellschaft zu gewährleisten haben früher und heute dazu geführt, dass der Durchbruch nach einer offenen modernen Gesellschaft sich noch nicht vollziehen kann.
Einen Text besser zu verstehen als sein Verfasser, wie Schleiermacher postuliert, kann in dieser Hinsicht nichts anders heißen als den offenen oder sogar uns fremden Charakter eines Textes auszunutzen, um potentiell verborgene aufklärungsfähige Elemente fürs Leben auszuarbeiten. Eine hermenutische Interpretation nach dem Verständnis Schleiermachers soll einen Text zuerst in seinem historischen Kontext beleutchten und weiterhin an die Gegenwart und seine Voraussetungen zu messen. Diese Art Doppelfunktionierung eines Textes, einmal als Teil der Vergangenheit hineinzufühlen, “anzuahnden” und somit den Text seinem Kontext und sich selbst gegenwärtig zu halten und das für uns fremdartiges Beigeschnmack zu mildern und zweitens als Teil der Gegenwart mit aktuellen Licht zu fokussieren und somit uns als zeitgenossen zu verstehen. Als Fomel kann diese Doppelfunktion so zusammengefasst: Einen Text als zeigenossen zu sich selbst einerseits und als zeigenossen für uns anderseits zu verstehen. In dem letzten Teil können wir tatsächlich in unserer Situation einen Text besser verstehen, würde sagen besser weiter funktionalisieren, Sinn für uns schöpfen als der Verfasser sich in seiner Situation nicht mal vorstellen vermag.

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