01.05.2015

Die Bedeutung des Spiels bei Schiller und Gadamer


Was ist mit "Spiel" allgemein gemeint?
In Wikipedia liest man: "Spiel (von althochdeutsch: spil für „Tanzbewegung“) ist eine Tätigkeitsform, Spielen eine Tätigkeit, die zum Vergnügen, zur Entspannung, allein aus Freude an ihrer Ausübung, aber auch als Beruf ausgeführt werden kann (Theaterspiel, Sportspiel, Violinspiel)." (1)
Der Freiheitbegriff spielt eine Zentralrolle beim dichterischen Schaffen Schillers. Er spricht der Kunst eine kulturelle Bildungsaufgabe zu, durch die sich die Menschheit zur Freiheit entfalten und vervollkommnen kann. „Die Kunst muß dem Menschen Lebensformen anschaulich vor Augen halten, die ihn zu sich selbst finden lassen, sein Bewußtseinvon Vernunft und Freiheit wecken.“ (2)
In Auseinandersetzung mit Kants Indienstnahme der Kunst, v.a. der Kantischen Idee des Schönen als Symbol der Sittlichkeit, sieht Schiller, dass die Kunst in Bezug auf Freiheit gedacht werden sollte, die in ihr Ausdruck findet. Er deutet diesen Gedanken Kants so, dass in der Schönheit die Freiheit zur Erscheinung kommt, wobei Schiller, den Schein nicht in Relation auf ein wahres Sein bestimmt, sondern auf die Freiheit, die sich im Kunstwerk dargestellt wird.Es handelt sich für Schiller nicht um bestimmte ästhetische Inhalte, sondern um die ästhetische Formung, in der sich die Kunstfreiheit offenbart. Er sieht hierin eine ästhetische Vermittlung von Sinnlichkeit und Sittlichkeit und stellt diese Vermittlungsfunktion in seinen Schriften <Über die ästhetische Erziehung des Menschen> als einen „Spieltrieb“ dar, mit dem der Mensch kreativ frei, sein Menschsein wider der natürlichen und moralischen Zwänge zum Entfalten bringt.Kants Erkenntnistheorie sprach von dem spielerischen Einbildungsvermögen, das die konkrete Fülle der Anschauungen zu zweckmäßigen und schönen Formen ordnet. Schiller aber bezieht den Spielbegriff auf das menschliche Handeln und erkennt ihm als „Trieb“ einen praktischen Anspruch im menschlichen Leben an. 
Schiller unterscheidet drei Begriffe, nämlich„Stofftrieb“, „Formtrieb“ und „Spieltrieb“, wobei dem letzten eine Vermittlungsfunktion zwischen den anderen zuordnet.Der „Stofftrieb“bzw. der „sinnliche Trieb“entspricht für ihn unserer passiven Aufnahmefähigkeit sinnlicher Eindrücke, insofern wir als Teilnehmer an den lebendigen Wirklichkeitsprozessen stets wechselnde Anreize erfahren.Mit dem„Formtrieb“ bezeichnet er hingegen die menschliche Neigung, die Wirklichkeit frei zu gestalten, zu konstruieren und sich selbstzubestimmen. Die moralische Autonomie Kants versteht Schiller als einen besonderen Ausdruck des „Formtriebs“.  Wenn wir dazu neigen einerseits unter unserem „Stofftrieb“, der Wirklichkeit festen Gestalt zu geben (natürliche Gesetzlichkeit) und unter unserem „Formtrieb“ anderseits, unser Leben durch ethische Formen selbst zu bestimmen (moralische Gesetzlichkeit), dann versuchen wir wiederum unter unserem „Spieltrieb“, der Strenge dieser beiden Gesetzlichkeiten, also den Natur- und Moralzwängen zu entziehen, um unsere Freiheit zu bewahren, betonen und erleben. Die Kunst ist zwar auch eine Gestaltung, jedoch eine besondere, nämlich eine spielerische, lebendige und kreative Gestaltung, wobei wir uns an unserer Sinnlichkeit erfreuen können und dabei keinem starren Gesetz unterworfen fühlen. Mit dieser lebendigen Gestaltung der schönen Kunst bringen wir unsere Freiheit zum Ausdruck. Lassen wir Schiller selbst zusammenfassen: "Der sinnliche Trieb will, daß Veränderung sei, daß die Zeit einen Inhalt habe; der Formtrieb will, daß die Zeit aufgehoben, daß keine Veränderung sei. Derjenige Trieb also, in welchem beide verbunden wirken..., der Spieltrieb also würde dahin gerichtet sein, die Zeit in der Zeit aufzuheben, Werden mit absolutem Sein, Veränderung mit Identität zu vereinbaren. [...] Der sinnliche Trieb will bestimmt werden, er will sein Objekt empfangen; Der Formtrieb will selbst bestimmen, er will sein Objekt hervorbringen: der Spieltrieb wird also bestrebt sein, so zu empfangen, wie er selbst hervorgebracht hätte, und so hervorzubringen, wie der Sinn zu empfangen trachtet. [...] Der Gegenstand des sinnlichen Triebes, in einem allgemeinen Begriff ausgedrückt, heißt Leben in weitester Bedeutung; ein Begriff, der alles materiale Sein und alle unmittelbare Gegenwart in den Sinnen bedeutet. Der Gegenstand des Formtriebes, in einem allgemeinen Begriff ausgedrückt, heißt Gestalt. [...] Der Gegenstand des Spieltriebes, in einem allgemeinen Schema vorgestellt, wird also lebendige Gestalt heißen können; ein Begriff, der allen ästhetischen Beschaffenheit der Erscheinung und mit einem Worte dem, was man in weiterer Bedeutung Schönheit nennt, zur Bezeichnung dient." (3)
Schiller schreibt dem Spieltrieb und damit dem Spielbegriff eine große Bedeutung zu, indem er die ästhetische Gestaltung als Ausdruck unserer Freiheit interpretiert und dass, diese Freiheit wiederum nicht anders als die Darstellung unseres Spieltriebs. Wenn er noch der schönen Kunst (der Schönheit) eine ästhetische Bildungsaufgabe zumutet, nämlich Bildung zur Freiheit mehr noch, er sieht in dieser ästhetischen Freiheit das Ideal einer Menschenwerdung.  "Die Schönheit müßte sich als eine notwendige Bedingung der Menschheit aufzeigen lassen." (4)
"Denn ... der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur ganz Mensch, wo er spielt." (5)

Für Hans-Georg Gadamer genauso wie vorher für Schiller bleibt die Zweckfreiheit des Spielens ein Zentralgedanke des ästhetischen Erlebens. Nichtsdestotrotz kritisiert Gadamer das Betrachten des Spielens bei Schiller, insofern der letzte den Spieltrieb als allein aus Subjekt ausgehend ansieht, ohne die eigentümliche Seinsweise des Spiels zu thematisieren. Gadamer betont seinerseits, dass das Spiel für "sich spricht", ohne ein bestimmtes Zweck zu verfolgen. Er skizziert eine Ontologie der Kunst, die zu verstehen versucht, was ereignet sich eigentlich bei der verwandelnden Erfahrung des Ästhetischen. Es geht ihm bei dieser Ontologie um ein besonders Wahrheitsgeschehen, eine ästhetische Wahrheit, nicht aber um eine Erkenntnis- oder Urteilstheorie im herkömmlichen Sinne.Die kreative Gestaltung stellt die Wirklichkeit aus einem besonderen Blickwinkel dar und wird somit zu einem Vollzug einer Verwandlung durch die ästhetische Wahrheit. Die Kunst als besondere Seinsweise ist zugleich eine Sprache, die Sinn vermittelt und ein Spiel, das sich ereignet. Gadamer sagt hierzu: "Wir sehen in der Erfahrung der Kunst eine echte Erfahrung am Werke, die den, der sie macht, nicht unverändert läßt, und fragen nach der Seinsart dessen, was auf solche Weise erfahren wird. So können wir hoffen, besser zu verstehen, was es für eine Wahrheit ist, die uns da begegnet." (6)
"Das Kunstwerk hat ... sein eigentliches Sein darin, daß es zur Erfahrung wird, die den Erfahrenden verwandelt." (7)
Die ästhetische Erfahrung ist für Gadamer eine Wahrheitserfahrung, die den Erfahrenden verändert, insofern sie Wahrheit ist und das offenlegt, was uns im Alltäglichen verborgen bleibt. In einem ästhetischen Spiel entdecken und erleben wir uns aufs Neue. Eine Spielaufgabe zu erfüllen ist Selbstzweck, Selbst-Verwirklichung und Selbstdarstellung. In jeder zweckfreien spielerischen Aufgabe erkennen wir uns selbst. Also beschreibtGadamer seinen Spielbegriff:
"Der spielende Mensch ist selbst im Spielen noch ein sich verhaltender, auch wenn das eigentümliche Wesen des Spieles darin besteht, daß er sich von der Anspannung entläßt, in der er sich zu seinen Zwecken verhält. Damit bestimmt sich näher, wieso Spielen Etwas-Spielen ist. Jedes Spiel stellt dem Menschen, der es spielt, eine Aufgabe. Er kann sich gleichsam nicht anders in die Freiheit des Sichausspielens entlassen, als durch die Verwandlung der Zwecke seines Verhaltens in bloßen Aufgaben des Spiels. [...] Offenbar beruht die eigentümliche Leichtigkeit und Erleichterung, die das spielende Verhalten bedeutet, auf dem besonderen Aufgabencharakter, der der Spielaufgabe zukommt, und entspringt dem Gelingen ihrer Lösung. Man kann sagen: Das Gelingen einer Aufgabe 'stellt sie dar'. Diese Redeweise liegt besonders nahe, wo es sich um Spiel handelt, denn dort weist die Erfüllung der Aufgabe in keine Zweckzusammenhänge hinaus. Das Spiel ist wirklich darauf beschränkt, sich darzustellen. Seine Seinsweise ist Selbstdarstellung. [...] Alles Darstellen ist nun seiner Möglichkeit nach ein Darstellen für jemanden. Daß diese Möglichkeit als solche gemeint wird, macht das Eigentümliche im Spielcharakter der Kunst aus." (8)

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Literatur 


(1): http://de.wikipedia.org/wiki/Spiel
(2): Gethmann-Siefert (1995), S. 157
(3): Friedrich Schiller, Werke, 5, S. 612ff.
(4): ebd. S. 600
(5): ebd. S. 618
(6): Hans-Georg Gadamer, , S. 94f.
(7): ebd. S. 98
(8): ebd. S. 102f.

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